Vorstellungen
durcheinander, die man bislang vom musikalischen Leben im Sozialismus hegte:
War Polen jetzt zum westlichen Land geworden?
Sicherlich war es das nicht:
Es war etwas eigenständig Polnisches, was sich da im Werk der drei kommenden
›Klassiker‹ der Neuen polnischen Schule anbahnte, zu denen sich dann als
vierter Stern bald Krzysztof Penderecki als junger ›Aufsteiger‹ gesellte,
nachdem er in einem anonymen Kompositionswettbewerb gleich drei Preise errungen
hatte. Und wir müssen uns die Freiheiten der 50-er Jahre noch immer
und auf lange Zeit als begrenzt vorstellen, wissen wir ja inzwischen, daß
auch zu jener Zeit Komponisten wie Andrzej Panufnik oder Dichter wie der
spätere Nobelpreisträger Czeslaw Milosz weiterhin im Exil lebten
und in der Heimat verschwiegen werden mußten. Die Tage der unwahrscheinlichen
Zeitschrift Polen an sozialistischen Kiosken
waren auch gezählt: Schon bald mußte die provozierend bunte, großflächige
avantgardistische Kunstzeitschrift in den sozialistischen Anrainerstaaten
durch eine kleinerformatige Ausgabe ersetzt werden, die auch
Polen hieß, aber in der nun gebührend die Rede von Aufbau-
und Ernteerfolgen und vom fortdauernden Kampf gegen den Imperialismus war
(zu dem dann um 1967 besonders Israel gerechnet wurde), während das
große bunte Kunstjournal bloß noch in den deutschen Westen geliefert
wurde und also nicht mehr am Bahnhof Friedrichstraße, sondern nur noch
am Bahnhof Zoo zu kaufen war.
Trotz all solcher Begrenzungen ging von
Polen, von den polnischen Aufbrüchen der 50-er Jahre fortan eine
ansteckende Freiheitslust aus, die sogar in die Sowjetunion hinüberstrahlte:
die Vision von einem »Sozialismus mit menschlichem Angesicht«,
wie er dann in der Tschechoslowakei im »Prager Frühling«
zum Programm wurde und an den viele glaubten, bis sowjetische Panzerketten
unmißverständlich klarstellten, daß es zwischen dem einen
und dem anderen keine Verbindung geben könne und dürfe.
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Die Entdeckung der Erde
Aus dieser Aufbruchsepoche und diesen Visionen leitete das Festival der Neuen
Musik mit dem Namen Warschauer Herbst seine
Tradition. Neue Musik war sicher nicht das einzige, vielleicht nicht einmal
das wichtigste Gebiet, auf dem die neue polnische Unbefangenheit schöpferische
Konsequenzen hatte, so gelangten in jenen Jahren polnische Filmkunst und
Plakatkunst zu europäischem Ruhm, und Polens experimentierende Theater
wie Henryk Tomaszewskis Breslauer Pantomimentheater, KTO und STU in Krakau,
das »Neue Theater« oder »Òsmego dnia« in Posen,
benannt nach Marek Hlaskos gleichnamiger Novelle
Der achte Wochentag, wurden zu Offenbarungen
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