- 231 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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241). Daß »romantische« Vokabeln für Hanns Eisler Belang haben – sein Verhältnis dazu ist durch alle Schaffensphasen hindurch ambivalent – dürfte seinen Idiomen alles andere denn abträglich sein; für die Interpretation ist es bedenkenswert.

Auf der Hand liegt die Affinität seiner Exillieder zu Schuberts Winterreise, Die schöne Müllerin und Schwanengesang; Eisler hat sie u.a. dadurch kenntlich gemacht, daß er, wenn auch nur im privaten Kreise, häufig Schubertlieder sang und auf ihre Besonderheiten hinwies. Nicht allein die Verschandelung von Schubert, Schumann – oder Mozart, Beethoven – jedoch sei der Dummheit in der Musik geschuldet, sondern ein Gutteil des Konzertwesens, diesseits, jenseits der Allüren hochrangiger Interpreten, sich groß und die aufgeführten Komponisten auf Plakaten kleinschreiben zu lassen; der Zurückgebliebenheit, also auch Dummheit könnte sich, im Zeitalter hochentwickelter Technik, der Kapellmeister oder der »schwitzende Posaunist Müller« (Bunge 1975, 241) überführen.

Damit jedoch sind Probleme angesprochen, die den Künsten heute nicht minder als zu Eislers Zeiten Schwierigkeiten bereiten. Intelligenz und Dummheit erweisen sich nicht in behenden Lösungsangeboten, sondern in der Fähigkeit, mit Problemen, auch mit Ungelöstem sinnvoll zu leben – nachdenkend und handelnd, statt sich den Gegebenheiten blind auszuliefern.

4. Karoly Czipak hat, in seiner Analyse von Eisler-Interpretationen, auf den Belang der zweiten Wiener Schule eindringlich verwiesen (vgl. Czipak 1998). Tatsächlich lassen Gemeinsamkeiten bis ins quasi Grammatikalische sich nicht übersehen: Metrisch-diastematische Auftaktkonfigurationen in der Komposition und in Eislers Gesang des Liedes Anmut sparet nicht noch Mühe haben ihr Analogon in Werken von Schönberg und Webern. Nicht minder gilt es für die Transparenz des musikalischen Satzes, für den Belang dynamisch-agogischer Stufungen und Kontraste, für die Kunst des Übergangs. Daß Anton Webern die neunte Sinfonie von Bruckner transparent, innermusikalische Gewebe, Prozesse erlebbar macht, hat Theodor W. Adorno mehrfach hervorgehoben. In Eislers Argwohn gegen »pappige Sätze«, gegen Füllstimmen, übergreifend gegen Bombast und Schwindeleien sind Argumentationen, vorab kritische Einwürfe seines Lehrers bruchlos aufgenommen – er, so Eisler, sei beleidigt gewesen, wenn einer seiner Schüler ihm derlei angeboten habe (Notowicz 1971, 46ff.).

Noch die Aversion gegen überhitztes Musizieren geht auf Schönberg zurück, u.a. auf seinen Argwohn gegen Stall- bzw. Kuhwärme, auf sein Plädoyer für objektives Musizieren, auf jene »Luft von anderen Planeten«, der Schönberg im Finale des zweiten Streichquartetts die Stimme zu geben versucht: Es ist das Umschlagen größter Hitze in ihr Gegenteil. Im Spaltklang der späteren Werke, u.a. der Variationen für Orchester und der Oper Moses


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