sein, sondern der Tanz als höchst irdische, existentielle Lebensäußerung.
Verändert war der musikalische Gestus, zurückgenommen die Starrheit,
umgewandelt in Gelöstheit, Eleganz. Der Trauer war Freundlichkeit beigesellt,
nicht um sie unter den Tisch zu kehren, sondern aufzeigend, daß sie
überwunden werden kann. Aufgenommen waren musikalische Gesten des Zeigens,
verändert aber darin, was gezeigt werden soll – Leben statt Tod. Ins
Universelle gehoben war der Tanz, erlebbar gemacht als zentrales, existentielles
Verhalten, zurückgenommen, fast getilgt die Sacralität und mit
ihr ein Gutteil des Abgehoben-Seins. (Nochmals: Ich rekapituliere meine Erinnerung;
ob ich mich täusche, würde sich herausstellen, wenn Eislers Strawinski-Dirigat
wider Erwarten doch aufgezeichnet, d.h. als Tonaufnahme verfügbar wäre.)
3
Zum Begriff der musikalischen Interpretation
1. Wiederaufnehmend das bislang Erörterte: Ginge es, in jeglicher Musik-Aufführung,
um die bloße Umsetzung des Notierten, so wäre ein unauflösliches
Dilemma gesetzt. Das Aufgeschriebene nämlich erweist sich, fast in jeder
Beziehung, als lückenhaft. Auch wenn mündlich tradierte Aufführungsmodalitäten
hinzugedacht werden, sind die Lücken nicht getilgt. Aber nicht nur sie
machen die bloße Ausführung des Vorgegebenen unmöglich, sondern
es ist der Interpret selbst, sein Verhalten diesseits und jenseits des Aus-
und Aufführens, das sich der bloßen Umsetzung verweigern muß.
Und dies mit gutem Grunde: Mitnichten ist der ausführende Musiker
mit dem Komponisten identisch. Auch der Komponist, der sein eigenes Werk
interpretiert, verhält sich zu seinem Gegenstand anders als im Augenblick
der Komposition. Und steht dem Interpreten eine prinzipiell andere Wirklichkeit
vor Augen als dem Komponisten, so hat auch der Komponist, der sein Werk aufführt,
eine andere Welt vor Aug und Ohr als jene, die ihm während der Komposition
begegnete, andere Zuhörer-Zuschauer inbegriffen.
Dies festzuhalten ist einigermaßen trivial und dennoch unerläßlich,
weil es im Diskurs über musikalische Interpretationen häufig außer
Acht gelassen wird. Für Igor Strawinskis Dirigate läßt sich
dies nachgerade drastisch belegen, namentlich für jene des Achtzigjährigen,
der Werke aufführt, die ein Halbjahrhundert früher entstanden sind.
Erst recht wird Hanns Eisler, Strawinski dirigierend, seine eigene Auseinandersetzung
mit der Welt thematisieren – die eines erklärten Atheisten, was immer
sich mit diesem Begriff verbindet, die eines Skeptikers gegenüber kultischen
Präsentationen, der gelegentlich jedweden Versuch neuerer Sacralmusik
als »Miserere mihi« denunziert (vgl. Bunge 1975, 186), Bußfertigkeit
und Zerknirschung rigoros zurückweist. Und doch gibt es Übereinkünfte
zwischen ihm und Strawinski,
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