- 227 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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2. Eisler als Dirigent und Klavier-Interpret eigener Werke: Dirigierend das Septett über amerikanische Kinderlieder op. 92a in einer Aufführung am 18. Dezember 1956 in der Deutschen Staatsoper Berlin, insistiert er auf fast vibratolosem Spiel der Streichinstrumente. Herausgearbeitet, nachgerade überpointiert sind dynamisch-agogische Kontraste. Auffällig ist die Transparenz des Satzes, auffällig zugleich – und Wiener Traditionen gehorchend – die Flexibiltät des Tempos, das Beschleunigen und Verzögern auf engstem Raume, damit ein jeder Gedanke im So und nicht Anders genommen werden soll, auffällig mithin das Musizieren von Übergängen, aber auch in heftig zufahrenden Gesten, die Lust an der Zuspitzung. Wer Eisler beim Dirigieren zusah (und ich hatte das Glück), konnte wahrnehmen, wie sein Oberkörper tanzte; der rechte Fuß schlug dazu den Takt, das ist noch in der Tonaufzeichnung zu hören.

Wenn Eisler das Lied Feldfrüchte am Klavier begleitete (Januar 1961 in der Akademie der Künste), verwandelte sich der rechte Fuß mitsamt dem rechten Pedal in ein Schlagzeug des Tanzmusikers: Damit wurde nicht nur der Ironie des Textes und der Musik genüge getan, sondern jener Eleganz, die noch im Zorn nicht fehlen durfte. Von musikalischer Eleganz ist denn auch unentwegt die Rede, gepaart der Transparenz, Deutlichkeit des Einzelnen und seines Zusammenhangs, gepaart der Sorgfalt im Ausmusizieren der Übergänge:.. Dies wiederum setzte voraus, nicht jede Einzelheit gleichrangig zu nehmen; das eine oder andere mußte nebenher, flüchtig gespielt werden, notfalls unter den Tisch fallen, und so wechseln deutlich artikulierte und umrißhaft genommene Formulierungen. Dies zeigte sich aufs Neue in Eislers Klavierbegleitung der Feldfrüchte , in seinem Klavierspiel der Musik Trübe Wasser.

3. Eisler als Dirigent einer Komposition von Igor Strawinski: Aufgeführt wurde, in einer Strawinski-Matinee der Akademie der Künste (Frühjahr 1957), die Cantata nach altenglischen Texten aus dem Jahre 1952.

Eisler saß, wie auch beim Dirigat des Septetts, im Sessel; mit heftiger Geste setzte er zum Vorspiel an; beim Einsatz des Frauenchores sich erhebend, wiegte er sich tanzend in den Hüften; der Chor nahm den Tanz auf. Von Tänzen ist denn auch in jenen altenglischen Texten die Rede, die Strawinski vertont hat: Christus, der Gekreuzigte, Auferstandene bietet sich den Gläubigen zum Tanz (Ricercar II). Freilich, von Himmelstänzen ist die Rede, von der himmlischen Hochzeit, und Strawinski macht dies offenbar im durchdringend starren Ton, in überaus langsamen Zeitmaßen (Viertel 50 im Versus I). Eisler griff korrigierend ein, ohne auch nur eine einzige Tondauer und Tonhöhe des Komponierten zu verändern – er beschleunigte das Tempo, wenn ich mich recht entsinne, mindestens um das Eineinhalbfache. Sein Eingriff war prinzipiell: Nicht die Abkehr vom Irdischen sollte beim Worte genommen


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