- 225 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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wenn es die Auseinandersetzung mit dem Vorliegenden (nicht allein, aber wesentlich) prägt, und von welcher Art des »Innenlebens« ist pejorativ die Rede?

Wie Musik, und mit ihr der Musiker, zu einem vorgegebenen Text sich referierend verhalten könne, erörtert Eisler unzähligemale anhand eines Rezitativs aus der Johannespassion von J. S. Bach: »Jesus ging mit seinen Jüngern über den Bach Kidron« – es sei die extreme Tonhöhe, mit der der Sänger gleich anfangs einzusetzen habe, die ihn daran hindere, sich einzuleben, also auch expressiv zu singen (Eisler 1982, 523f.); der Anfangston, und mit ihm der Sänger, ist und bleibt in der Fremde, das Gelände, auf dem er sich bewegt, bleibt unvertraut. Dies freilich ist notwendig: Wäre das Terrain nämlich vertraut, so könnte es der Musiker zwar erleben, aber nicht mehr erkennen. Aufs neue kritisiert Eisler die tuchfühlige Empfindsamkeit des Ein- und Mitschwingens; hierfür steht, in seinen Worten, »Dumpfheit« der Musik und ihrer Wahrnehmung, Dumpfheit und Zurückgebliebenheit des Ohres (vgl. Bunge 1975, 230), Sentimentalität, Schmalz, der sich als Schmelz drapiert – wie läßt sich derlei in kompositions- und interpretationstechnische bzw. -ästhetische Parameter übersetzen?

Da gibt es in Eislers Argumentationen und Klangdemonstrationen den Verweis auf musikalische Haltungen, Gesten. Sie aber stehen ein für höchst komplexe Verhaltensweisen von Menschen bzw. Menschengruppen, Klassen, Schichten, für Haltungen zu jemandem, zu einer Sache, unter bestimmten Umständen. Von unguten Haltungen ist in Eislers Scherbengerichten über Wagner die Rede (vgl. Knepler 1969, 3 ff.): Eisler schlägt, dies zu untermauern, einfache, aber donnernde Dreiklänge an, Symbol für Bombast, Nichtigkeit. Daß er Wagners Subtilität, Konstruktivität, mithin Substantialität unter den Tisch kehrt, steht auf anderem Blatte; es gelten Untugenden vorab der Wagner-Rezeption, mitunter werden sie mit den Errungenschaften und Komplikationen des Werkes gleichgesetzt. In den letzten Jahren wird er sein Verhältnis zu Wagner differenzieren:

»Auch höre ich Beethoven anders, selbst diesen entsetzlichen Wagner, der wahrscheinlich ein großer Meister war – ...« (Bunge 1975, 115) In den letzten Tagen lag die Tristan -Partitur auf dem Bett; offenbar wollte Eisler nach bestimmten harmonischen Wendungen Ausschau halten, und beim Hören einer Tristan-Aufnahme soll Eisler gestrahlt und gerufen haben »Oh, dieser alte Gauner!«

Da gibt es, vermehrt in den letzten Jahren, den Verweis auf Konstruktivität, auf den »Tiefsinn des Handwerks« (Notowicz 1971, 169), auf musikalische »Redlichkeit« (169f.), die Forderung, sich auf Wesentliches zu konzentrieren ohne Ballast, Bombast, Schwindel (vgl. u.a. Bunge 1975, 185), die Abwehr »pappiger« Sätze (Eisler 1982, 470): Vielleicht, daß der freundliche


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