- 224 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Tisch stellen. Mein Benehmen als Kellner muß sich von der Art der Speisen absetzen, ich werde leicht und höflich servieren, aber nicht meine Art des Servierens je nach der Speise ändern. So würde ich nicht ein Beefsteak mit einer pathetischen Gebärde auf den Tisch stellen und ein Kompott mit einer zierlichen. Es gibt auch solche Dummköpfe unter uns, aber sie halten sich nicht lange.«  (Eisler 1959, 1982, 85)

Der ebenso harschen wie pauschalen Kritik jeglicher Einfühlungsästhetik, genauer, des tuchfühligen Ein- und Mitschwingens, das sich in Musikanschauungen spätestens seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durchzusetzen droht (vgl. Kaden 1984, 140 ff.), verbinden sich Maximen einer Kunst des Zeigens, Vermittelns, Überbringens, die mit Brechts Theorie und Praxis gestischer Darstellung, auch gestischer Musik aufs engste zusammenhängen.

Distanz des Servierens, Vermittelns, Überbringens – einer Speise, einer Botschaft, eines Musikwerkes etc. – meint nicht Unbeteiligt-Sein des Interpreten. Wer jemals Eisler beim Dirigieren gesehen, gehört hat, weiß um die Intensität seiner Gestik, auch um Eislers angespanntes, beredtes Gesicht, um die Notwendigkeit, bestimmte musikalische Prozesse und Charaktere gestisch-mimisch kenntlich zu machen, ja, vorzuimitieren. Es fragt sich, wann, unter welchen Bedingungen solche mimetischen Aktionen in jene von Eisler denunzierte Vorverdauung der servierten Speisen umschlägt, worauf die Insistenz des apostrophierten Oberkellners, sich vom Überbrachten gestisch-mimisch abzusetzen, beruht, was sie anspricht, voraussetzt, angreift. Dies auszuführen geht ohne weitläufige kulturgeschichtliche Erkundungen nicht ab.

5. Ich nehme Eislers Äußerungen kursorischer auf, um sie in Fragen zu übersetzen. Da werde »scheußlich musiziert«, und er, der Komponist, müsse sich mit den Kapellmeistern raufen, sich aufregen, was der Arzt ihm verboten habe, also habe der Arzt verboten, daß seine Werke aufgeführt werden (vgl. Bunge 1975, 149, 191) – welche Kriterien gibt es für gutes und schlechtes (»scheußliches«) Musizieren, inwieweit macht Eisler sie transparent für seine Interpreten oder Gesprächspartner?

Vielerorts gilt die Anweisung, freundlich zu singen, und es ist von Freundlichkeit als Grundverhalten die Rede, wenn der vertonte Text das Gegenteil verheißt – soll es unter den Tisch gekehrt werden, oder opponiert der Komponist dem sich Ausliefern ans Unfreundliche, mithin jener grassierenden Einfühlungsästhetik, die nun auch des eigenen Werkes sich zu bemächtigen droht?

Der Text, so Eisler am Beginn der Ernsten Gesänge sei zu referieren; daß der Interpret unbeteiligt sei, ist nirgends gefordert, wohl aber möchte er mit dem Gedanken dazwischenkommen, auch wäre sein Innenleben hier nicht von Belang. Wie aber kann der Interpret sein »Innenleben« ausschalten,


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