- 210 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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andere entstanden in dieser Experimentierphase. Diese Lieder sollten keine bestimmte oder besondere Aussage beinhalten, sondern waren lediglich Versuche, einen neuen ganz eigenen Stil zu entwickeln. Gerade bei dem Lied Bluntschli versuchten die Leute für diesen Phantasieausdruck eine bedeutungsvolle Sache oder Interpretation zu finden.

Mit Max auf der Rax zeigt Kreisler seine unglaubliche Wortgewandtheit und sein feines, faszinierendes Sprachgefühl. Ausgehend von einem einfachen Satz – Der Graf von Luxemburg hat all sein Geld verjuxt-juxt-juxt – entwickelt er eine Geschichte, läßt seiner Phantasie freien Lauf und gerät schließlich in eine Verwechslung der Vokale i und o (vgl. Kreisler, Erinnerungsbuch, 154).

Das Publikum und die Wiener Kulturveranstalter und -kritiker hatten wenig Verständnis für diese Versuche. Dennoch oder gerade deshalb wurde viel über sie diskutiert. Kreislers Arbeit sollte vom Publikum nicht ernst genommen werden, dafür sorgte in erster Linie die Zensur des Österreichischen Rundfunks und Fernsehens. Kreisler äußert sich dazu:

»Bezeichnend war sicher, daß diese Lieder weder im Rundfunk noch im Bronner/Qualtinger-Kabarett Platz fanden. Es stand nicht zur Debatte, daß ich sie irgendwo außerhalb der ›Marietta Bar‹ vortragen könnte. Die Verdummungsfunktion des Öffentlichen Rundfunks trat dadurch offen zutage, denn die Lieder waren weder staatsfeindlich noch blasphemisch, weder illegal noch pornographisch, sie waren lediglich anders als das Gewohnte, sie verlangten das Zuhören vom Zuhörer, und das genügte bereits, um sie verdächtig zu machen.«  (Kreisler, Erinnerungsbuch, 143)

Lediglich die bedeutenden Kulturkritiker Friedrich Torberg, der oft Prominenz aus dem Ausland in die ›Marietta Bar‹ brachte, und Hans Weigel waren Kreisler wohlgesonnen und verfolgten dessen Karriere aufmerksam. Letzterer berichtete schon 1956 über den ausgefallenen Jung-Kabarettisten:

»In einer Wiener Bar wirkt einer namens Georg Kreisler, der etwas unendlich Seltenes, Schwieriges, Köstliches und Kostbares vollendet beherrscht, eine wienerische Mischung aus Frank Wedekind, Maurice Chevalier und Kurt Weill. Geht hin und bewundert ihn! Wenn nicht alles trügt, wird er bald sehr berühmt sein. Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen... Er ›bringt‹ kleine, selbstverfaßte, selbstkomponierte Chansons von einer ganz eigenartigen Phantastik, nächtlich, abwegig, grotesk und doch unendlich rührend und – Wedekind hin, Ringelnatz her - sehr wienerisch, aus dem Niemandsland zwischen Humor und Tragik, Witz und Dämonie, wo vor ihm Nestroy und Ödon von Horváth, Kubin und viele andere siedelten...«  (Weigel in: Kreisler, Ich weiß nicht, 7/8)


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