- 204 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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2 Biographie Georg Kreislers: Kindheit und Schule

Georg Franz Kreisler wurde am 18. Juli 1922 in Wien als einziger Sohn eines Rechtsanwalts geboren. In seiner Kindheit erfuhr er wenig Zuwendung und Zuneigung von seinen Eltern: Den Vater empfand er als streng und unnahbar; der Mutter fühlte er sich eher verbunden, dennoch entstand keine innige Beziehung. Er beschäftigte sich viel allein, las Bücher und hörte seine zwei Grammophonplatten mit Kinderliedern. Die Eltern kümmerten sich nicht sonderlich um ihn: »Ich wurde nicht ernst genommen, ich war allein und fremd.« (Kreisler, Worte ohne Lieder, 314) In der Schule war er ein Außenseiter, weil er bereits lesen und schreiben konnte und zudem noch Jude war. Über die Beziehung seiner Familie zum Judentum und die Auswirkungen der Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben in der Schule berichtet er:

»In der Schule lernte ich bald, daß ich Jude war, und auch meine Mutter flüsterte es mir immer wieder zu, wenn sie mich ermahnte, denn als Jude durfte ich nicht laut, nicht unhöflich und nicht fröhlich sein, sondern war am besten überhaupt nicht vorhanden. Über Judentum wurde immer nur geflüstert, die Feiertage begingen wir entweder gar nicht oder widerstrebend. In meiner Schulklasse fiel ich auf, denn ich war nicht nur Jude, ich konnte auch lesen und ich war dick. Ich war der einzige, den man mit Vornamen rief statt mit Nachnamen. Es war kein gutes Auffallen, ich mußte mich wehren. Statt dessen lief ich davon.«  (Kreisler, Worte ohne Lieder, 315)

Mit sieben Jahren bekam Georg Kreisler den ersten Klavierunterricht, später auch Unterricht auf der Geige und Oboe und in Musiktheorie, den die Mutter gegen den Willen des Vaters, der diesen als unnötige Ausgabe betrachtete, durchsetzte. Als Gegenleistung erwarteten die Eltern, daß der Musikunterricht Georg Spaß machen sollte, was allerdings nicht der Fall war, denn das Üben war ein ständiger Kampf. Georg Kreisler selbst bezeichnete sich in einem Interview mit Ursula Deutschendorf als ein »überarbeitetes Kind und ... dementsprechend schlecht gelaunt, was er noch heute ist«.

Die Musiklehrer interessierte der Fortschritt des Schülers wenig. So begeisterte er sich für das Einstudieren und Auswendiglernen der Klavierauszüge von Operetten und Opern: »Das war meine Welt. Ich lernte alles auswendig und erzählte es niemandem. Es war eine Zeit ohne Boden...« (Kreisler, Worte ohne Lieder, 316) Insgesamt war die Kindheit und Jugend von Georg Kreisler durch den strengen, prügelnden Vater bestimmt, der die Erziehung des Sohnes mit übertriebenem Ehrgeiz verfolgte. Zuwendung und Zuneigung erfuhr der Junge selten von seinen Eltern, vielmehr fühlte er sich als überflüssiger Außenseiter in der großen Verwandtschaft, bestehend aus zahlreichen


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