- 183 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Symbolik.« (Hanslick, 282) Im vierten Satz (Allegro dramatico, g-moll) erklingt das Lied zweimal: zunächst in B-dur (Gestalt wie Str. 1–5, dann wie Str. 6 mit instrumentatorisch abgesetztem ›Choralabschnitt‹), in der Reprise in G-dur (wie Str. 1–5); der angehängte Abschnitt »Das soll es sein« wird durch ein c-moll-Fortissimo abgebrochen (Buchstabe G, T. 198). Nach einem bereits vorher präsenten Fanfaren-Motiv, das vermittels Transformation aus einem der ›Aufschwung‹-Motive des I. Satzes gewonnen wurde (Buchstabe I, T. 272), kehrt Raff zum Lied zurück, jetzt aber zu Strophe 7: der Beginn im Bläsersatz, der ›Choralabschnitt‹ in den Streichern; dieser wird aber erneut abgebrochen. Man hört also, legt man den Text der Vorlage zugrunde, folgende Abfolge:

Bläser (forte, C-dur), »Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott vom Himmel, sieh darein, (Streicher (piano, Es-dur, G-dur)) und gieb uns echten deutschen Mut, daß wir es lieben treu.«

[Abbruch]

Der Abbruch erscheint dort, wo von ›deutscher Treue‹ die Rede ist. Er erhält ein sakrales Gepräge durch die als ›Orgelschwänzchen‹ bekannte Figur in den Streicher-Mittelstimmen. Danach wird über einem Viola-Tremolo und vereinzelten Paukenschlägen der Lied-Anfang zitiert, dergestalt aber, daß die einzelnen Zweitakt- bis Halbtaktmotive auf verschiedene Instrumentengruppen verteilt werden: Eine (im Sinne Hanslicks) »handgreifliche« Analogie zur »vereitelten Einigung« und »Zerrissenheit« Deutschlands.

Klangbeispiel 2: An das Vaterland von Joachim Raff, 4. Satz, 5. T. nach I bis 12. T. nach J

Die langsame Einleitung des Finales mündet in ein Allegro deciso, trionfante, das die aus dem IV. Satz bekannte ›Aufschwung-Fanfare‹ in den Mittelpunkt rückt. In der Coda des Satzes aber – nach Buchstabe U, zunächst in leisen Paukenschlägen rhythmisch antizipiert – zitiert Raff nochmals, diesmal aber ungebrochen, das Vaterlandslied: eine visionäre Apotheose, die – wie jüngst für die ›Choral‹-Finali der ersten Symphonie von Brahms und der fünften von Bruckner beschrieben – »als befreiende Auflösung eines Prozesses angestrengter, ja mitunter gewaltsamer ›thematischer Arbeit‹ und damit als Läuterung des kompositorischen Geschehens« wirkt (Lütteken, 34). Bei Raff wird diese ›Befreiung‹ als in die Zukunft projizierte geeinte Nation semantisiert.

Raffs Symphonie An das Vaterland gewann den ersten Preis bei einem Kompositionswettbewerb der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und wurde am 22. Februar 1863 im Musikvereinssaal uraufgeführt. Der Erfolg hielt sich in eher eng bemessenen Grenzen. Eduard Hanslick klagte über die »poetisch-politische Gebrauchsanweisung.« (Hanslick, 282) Ein Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung hielt »das beigegebene, poetisch-politische


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