- 170 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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belegt, durchaus nicht nur »in der Ideologie der Trivialmusik zutage« (Seidel, 12), wenngleich etwa Männergesangvereine, die hierfür wohl besonders einstehen (auf eine Diskussion des Begriffs ›Trivialmusik‹ muss an dieser Stelle verzichtet werden), zweifelsohne für den Aufbau eines deutschen Nationalbewußtseins auf kultureller Basis von größter Bedeutung sind (vgl. Klenke 1998). Wie in Arndts Vaterlandslied, gesungen von einem Männerchor z.B. auf einem Sängerfest, kann offenbar auch in Instrumentalmusik, vor allem in Symphonien (paradigmatisch in Beethovenschen) ›das Deutsche‹ erfahrbar werden. Eine besondere Rolle spielen auch hierbei groß besetzte Aufführungen bei Musikfesten (vgl. Brusniak/Klenke, vgl. Boresch), die als institutionalisierte Massenveranstaltungen »einen rituell konstruierten Rahmen von Gemeinschaftlichkeit« (Giesen, 16, auch 88–95) bereitstellen. Überhaupt scheint Musik in besonderem Maße geeignet zu sein, symbolisch die (Kultur-)Nation zu repräsentieren, denn die »Inkommunikabilität [des Nationalen] auf sprachlicher Ebene« begünstigt »nicht-sprachliche Weisen der kommunikativen Vergegenwärtigung des Nationalen.« (Giesen/Junge, 297)

Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen steht jene Symphonie Joachim Raffs (1822–1882), die durch ihren Titel, An das Vaterland, ebenso wie durch ihr Programm geradezu überdeutlich an den Zusammenhang von ›deutscher Musik‹ und ›deutscher Nation‹ appelliert. Man könnte das Werk somit als eher plumpe Anbiederung an den nationalistischen Zeitgeist abtun, deren gemeinter Gehalt sich in Titel und Programm erschöpft, zumal wenn man Raffs Symphonien als ästhetische »quantités négligeables« abqualifiziert (Dahlhaus 1980, 65 u. 197). Es soll aber versucht werden, Schichten aufzudecken, die über das unzweifelhaft vorhandene Vordergründige hinaus auf Kollektivsymbole anspielen, die für die Idee des Nationalen nutzbar und auch jenseits der Symphonie Raffs ästhetisch bedeutsam waren (zu primär musikanalytischen Fragen vgl. Bevier, bes. I, 216–244 sowie II, 1–11).

In der recht ausführlichen »Notiz«, die Raff seiner Symphonie voranstellt und die »auf den für das Publicum auszugebenden Concertprogrammen« abgedruckt werden soll, gibt der Komponist Auskunft über die Entstehungszeit: Die Symphonie »wurde nach dem Frieden von Villafranca – im Spätsommer 1859 – begonnen und lag im Sommer 1861 druckfertig für die Verleger bereit.« Bereits dieser Hinweis ist ein politisches Signal, wirkte doch der Italienkrieg (1859) in Deutschland »als Katalysator eigener nationaler Wünsche«:

»Für die Zeitgenossen [...] war die Tatsache jenes italienisch-österreichischen Krieges [...] in einem Maße aufwühlend, wie es heute kaum noch begreiflich scheint. [...] Wohlgemerkt geht es hier nicht um den Krieg als militärische Handlung, sondern als ein Ereignis, das Stimmung zum ›Aufbruch‹ hervorrief, das öffentliche Meinung bildete, Parteibildungen


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