- 168 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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gemeinsame Illusionen, die allerdings nicht zufällig entstehen: »Sie werden inszeniert und gern geglaubt, sie begünstigen Interessen und geben unklaren Lebenslagen eine klare Kontur, aber sie sind eben nicht natürlich und selbstvertändlich gegeben, sondern sozial konstruiert.« (Giesen, 12) Der Begriff ›Nationalismus‹ widersetzt sich ebenso wie ›Nation‹ einer exakten Definition. Jörg Echternkamp schlägt vor, von deutschem Nationalismus solle dort die Rede sein,

»wo die Existenz einer deutschen Nation oder eines deutschen Volkes (beide Begriffe werden in den Quellen weitestgehend synonym verwendet) axiomatisch behauptet oder vorausgesetzt wird. [... ] Die Konzeption eines ›deutschen Volkes‹ gründet auf der Vorstellung von einer die Menschen in den einzelnen Territorien übergreifenden ontologischen Entität von existentieller Bedeutung für die einzelnen. Als Nationalist wird derjenige bezeichnet, für den das ›Volk‹ mehr ist als die Summe seiner Teile, nämlich ein handelndes und leidendes Subjekt der Geschichte.« (Echternkamp 1998, 16)

Der Bereich ›Kultur‹ wirkt als ›nationsstiftendes‹ Element: Er »bestimmt als [...] nicht mehr hinterfragbarer oder begründungsbedürftiger Horizont die Konstruktion von Gemeinschaftlichkeit und kollektiver Identität.« (Giesen, 18) Als im Zusammenhang mit den Ereignissen nach der Französischen Revolution von 1789 – ›Entzauberung‹ der einstmals unhinterfragbaren Bezugssysteme ›dynastisches Reich‹ sowie ›religiöse Gemeinschaft‹ (vgl. Anderson, 18–30; auch: Mommsen, 174; Kaschuba, 292), daneben die Realpolitik: Napoleonische Eroberungen und die damit verbundenen ›Befreiungskriege‹ – auch im deutschsprachigen Gebiet das nationale Bewußtsein stark in den Vordergrund gerückt wurde, spielte der Gedanke der Kulturnation eine wichtige Rolle (vgl. neuerdings Dann 1995, bes. 67-71). Aber die ›Kultur‹ wurde nicht nur als ›einigendes Band‹ gesehen; mit Hilfe kultureller Erzeugnisse (Kulturgüter) konnte überhaupt erst die ›Nationalisierung der Massen‹ (Mosse) stattfinden: Dieser »historische Vorgang setzte eine ›kulturelle Nationalisierung‹ des Alltags und der Lebenswelten voraus.« (Kaschuba, 293) Daß Kultur als Transmissionsriemen nationaler Ideen gebraucht werden konnte, wurde begünstigt durch die Tatsache, daß »die relativ abstrakte Kategorie der Nation einer Versinnlichung in einer konkreten Symbolstruktur« bedarf (Dörner, 77). Eine herausragende Rolle spielt dabei eine als spezifisch ›national‹ auffaßbare (wenn auch international rezipierbare) Kunst, denn »das romantische Bild nationaler Identität ist Produkt eines vornehmlich ästhetischen Diskurses«, was zur Folge hat, daß »die Nation ihre Individualität nur in der ästhetischen Kommunikation [...] verwirklichen« kann (Giesen/Junge, 291 u. 295).


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