Hans-Werner Boresch
An das Vaterland
von Joachim Raff.
Überlegungen zum Zusammenhang von
Musik und Nationalismus im
19. Jahrhundert
»Nichts berechtigt einen Historiker [...] dazu, ein Stück Ideologie,
wie es der Nationalismus in der Musik darstellt, für a priori ›außerästhetisch‹
zu erklären.« (Dahlhaus 1974, 79) Eine knappe, dabei umfassende
Definition von ›Nation‹ bzw. Erklärung des Phänomens ›Nationalismus‹
dürfte unmöglich sein. Dennoch soll mit Hilfe einiger weniger Titel
aus der fast unübersehbaren Literatur zu diesem Problemkreis (aktuelle
Bibliographien bei Dann 1996, Echternkamp 1998, Breuilly) eine Annäherung
versucht werden, um nicht im vorwissenschaftlichen Bereich der stillschweigend
vorausgesetzten Übereinkunft zu verbleiben, der ein zu großes
Spektrum an zu verschiedenem Vorverständnis bereithält. Gerade beim
›Nationalismus‹ scheint die Gefahr, sich im Bedeutungsgestrüpp zu verlieren,
besonders groß zu sein, »da man es einerseits mit einem universalgeschichtlich
vergleichbaren Phänomen zu tun hat, andererseits aber die jeweils mobilisierten
ideologischen Inhalte [...] chamäleonartig ausgewechselt werden können.« (Mommsen,
170) Auf die Gefahr, Nationalismus als anthropologische Konstante zu verstehen,
wies Ernest Gellner nachdrücklich hin: »Der Tatbestand, eine Nation(alität)
zu besitzen, ist kein inhärentes Attribut der Menschlichkeit, aber er
hat diesen Anschein erworben.« Auf dieser Basis gibt Gellner zwei provisorische
Definitionen von ›Nation‹: »Zwei Menschen gehören derselben Nation
an, wenn sie – und nur wenn sie – dieselbe Kultur teilen, wobei Kultur ihrerseits
ein System von Gedanken und Zeichen und Assoziationen und Verhaltens- und
Kommunikationsweisen bedeutet.« – »Zwei Menschen gehören
derselben Nation an, wenn sie und nur wenn sie einander als Angehörige
derselben Nation anerkennen. Mit anderen Worten: Der Mensch macht die Nation;
Nationen sind Artefakte menschlicher Überzeugungen, Loyalitäten
und Solidaritätsbeziehungen.« (Gellner 1991, 16) Mit den
Worten Benedict Andersons: Eine Nation »ist eine vorgestellte politische
Gemeinschaft.« (Anderson, 15) In der Perspektive eines – auch
hier vertretenen – konstruktivistischen Ansatzes erscheinen, allgemein gesprochen,
Gemeinschaften als
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