- 159 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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weder zu Verständnis noch zu Nachgiebigkeit bereit. Sogar als der von ihm 1949 noch hochverehrte Thomas Mann in Gesprächen mit Max Horkheimer und ihm angesichts der intensiven Musikpflege in der Sowjetunion eine »vorsichtig apologetische Haltung« einnahm und die Frage stellte, ob nicht für eine wahrhaft große Kunst stets eine gewisse »Bindung« (71) nötig sei, verwahrte sich Adorno schärftens gegen diese These und erklärte, daß man aus solchen Bindungskonzepten keineswegs eine »Ideologie für die russische Repression« (72) ableiten dürfe. Schließlich seien in Rußland, wie er sagte, die »kommandierenden Parteikommissare« in Sachen Musik »nichts als die engsten, zurückgebliebensten, finstersten Geister«, kurz: »Kaffern« (72).

Allerdings sah sich auch Adorno, wie wir gesehen haben, angesichts solcher auf eine größere »Verbindlichkeit« drängenden Theoretiker von Zeit zu Zeit genötigt, ebenfalls auf die sogenannte Inhaltsfrage einzugehen. Und zwar tat er dies stets so, daß bei aller Verbindlichkeit stets ein Rest an abstrakter Intellegibilität übrig blieb, um nicht in den von ihm als negativ apostrophierten Bereich des »Ideologischen« abzugleiten. Aus diesem Grunde charakterisiert er die Musik Beethovens dreimal als »bilderlose Bilder« (28, 235, 251), in denen sich das Objektive nur indirekt – als Strukturprinzip – zu erkennen gebe. »Seine Musik ist kein Bild von etwas – und ist es doch«, lesen wir an einer Stelle, nämlich ein »Bild des Ganzen«, ein »bilderloses Bild« (28). In anderen Zusammenhängen vergleicht Adorno die in Beethovens Musik »vorbeihuschenden Bilder« mit Traumszenerien, also im Sinne Freuds mit »Tagesresten« (27). Bilder dieser Art, selbst wenn sie sich sofort wieder im Gewoge der Musik auflösten, seien durchaus »objektiv«, das heißt nicht »bloß subjektive Assoziationen« (27). Nur so, schrieb Adorno lakonisch, sei möglicherweise eine »Rettung der Programmusik zu versuchen« (27), obwohl er sich selber nicht zu solchen Versuchen entschließen könne.

Und dann taucht in seinen Beethoven-Fragmenten noch ein weiterer Ansatz zu einer möglichen Inhaltsausdeutung sogenannter absoluter Musik auf, den man bei Adorno – weiß Gott – nicht vermutet hätte: nämlich die Gleichsetzung von Musik mit Gebet (vgl. Adorno 1994, 235). In diesem Zusammenhang findet sich der frappierende Satz, daß es »nur soviel Musik wie Christentum in der Welt« gebe und »alle Kräfte der Musik mit denen des Christentums kommunizieren« (235). Auch an anderer Stelle erklärt Adorno, daß die Musik als nichtmeinende Sprache, wenn auch immer stärker ins Weltliche übersetzt, durchaus einen »theologischen Aspekt« (Adorno 1978, 650) habe. Auf Beethovens Musik angewandt, liest sich diese Sehweise folgendermaßen:

»Es ist die reine Sprache des Gebets als der ergebenen Beschwörung. Damit aber hängt Beethoven aufs tiefste zusammen durch das Moment der ›Rhetorik‹. Seine Musik ist das innerweltliche Gebet der


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