- 158 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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das »einzigartige Wesen« dieser Kunstgattung darin, daß sie nicht als »Bild für eine andere Wirklichkeit« einstehe, sondern als eine »Wirklichkeit sui generis« (235) angesehen werden müsse. Adorno wird demnach stets polemisch, wenn es gegen irgendwelche ideologischen oder gar revolutionären Indienstnahmen von Beethovens Musik – vor allem im Sinne der Französischen Revolution oder des Sozialismus – geht. Auch dafür einige Beispiele, die für seine Gesamthaltung recht aufschlußreich sind.

Beginnen wir mit der Französischen Revolution, die häufig als eine Hauptanregung für Beethovens weltanschauliche Ausrichtung hingestellt worden ist (vgl. Klein, 346–350). Adorno gibt zwar zu, daß Beethoven in seinem Auftreten einen »sansculottenhaften, antikonventionellen«, ja geradezu »plebejischen Habitus« hatte, mit dem er die »Hofgesellschaft« zum Teil offen brüskiert habe (vgl. Adorno 1994, 77). Ja, er leugnet sogar nicht, daß auch Beethovens Musik von der bürgerlichen Freiheitsbewegung seiner Zeit »durchrauscht« (74) werde. Aber er versucht, diesen Zug ins Jakobinische immer wieder zu entschärfen, indem er schreibt, daß die ästhetischen Formen Beethovens mit den gesellschaftlichen Formen der damaligen Bourgeoisie nur darin übereinstimmten, weil sich in beiden eine Neukonstituierung bereits vorgebildeter Formen vollzogen habe. Beethoven und das revolutionäre Bürgertum hätten also etwas geschaffen, »was in Wahrheit schon da« gewesen sei (vgl. Adorno 1994, 61). Was sich hierin als Freiheitssehnsucht äußere, könne also letztlich gar nicht als umstürzlerisch bezeichnet werden, sondern habe bereits einen Drall ins »Ideologische« (61). Im Gegensatz zu marxistischen Interpreten wie Boris Assafjew (Assafjew 1976, 298) interpretiert deshalb Adorno die Beethovenschen Symphonien nicht als »gemeinschaftsstiftend«, sondern als bereits »neutralisierte Volksversammlungen« (71). Es »rumore« zwar in ihnen manchmal so stark, daß man sich fast an den »Lärm« der Französischen Revolution erinnert fühle (vgl. Adorno 1994, 76). Daher sei es nicht ganz falsch zu behaupten, daß die Musik Beethovens – unter gesellschaftlichen Aspekten betrachtet – an einem »vagen und trivialen Zeitgeist« (79) teilhabe. Allerdings werde seine Musik, wie Adorno immer wieder erklärt, auch »gesellschaftlich um so wahrer und substantieller«, je weiter sie sich vom »offiziellen Zeitgeist« (79) entferne. Für die sogenannte »Grundstimmung« der Epoche zwischen 1800 und 1825, lesen wir bei ihm, sei ein Komponist wie Rossini wesentlich »repräsentativer« (79) als Beethoven.

Während Adorno im Hinblick auf Beethovens Verhältnis zur Französischen Revolution manchmal durchaus »Konzessionen« machte, selbst wenn ihm – im Rahmen seiner Dialektik der Aufklärung und der aus ihr resultierenden Verfallsgeschichte – die Formel vom »aufsteigenden Bürgertum« zutiefst suspekt blieb, so war er im Hinblick auf die Hochschätzung Beethovens im sozialistischen Lager, vor allem in seiner stalinistischen Ausprägung,


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