- 155 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Alle Kategorien des letzten Beethoven sind Herausforderungen an den Idealismus – beinahe den ›Geist‹. Es gibt keine Autonomie mehr« (227).

Was jedoch im Rückblick auf das ›Klassische‹ in diesen Werken als negativ erscheint, wird von Adorno im Vorblick auf die sich in ihnen ankündigende ›Moderne‹ als positiv, als eine ideologisch nichtzuvereinnahmende Sperrigkeit hingestellt. Diese »Musik hat gleichsam Löcher, kunstvolle Brüche«, behauptet er, »dadurch wird das Affirmative, das Hedonistische, das der Musik sonst innewohnt, erstmals gekündigt, und darin gibt es beim späten Beethoven durchaus eine Beziehung zu gewissen Phänomenen der modernen Musik, wie dem Satz von Arnold Schönberg ›My music is not lovely‹« (270). Und zwar versucht Adorno selbst angesichts der »Dissoziations- und Verfremdungstendenzen« dieser Werke seine ›Hegelische‹ Sehweise durchzuhalten (vgl. Adorno 1994, 270). Obwohl es in diesen Werken keine »mittlere Harmonie, keinen Ausgleich, keine Homöostase«, das heißt »keine Vermittlungen auf ein Mittleres« mehr gebe, wie er erklärt, finde in ihr »wie bei Hegel« dennoch eine »Vermittlung durch die Extreme hindurch« (270) statt. Ein Beweis dafür ist ihm das Streichquartett op. 135, wo Beethoven nicht einmal vor Totentanz-Motiven zurückschrecke (271). Im Rahmen einer solchen Hörweise erscheinen daher Adorno die Spätwerke Beethovens, die man solange mißverstanden habe, als »das Substantiellste und Ernsteste, was an Musik gefunden werden kann« (268).

Kommen wir zu ersten Folgerungen. Ob nun die Musik des frühen und mittleren oder die Musik des späten Beethoven: alle diese Werke betrachtet Adorno als eine in Töne gefaßte Philosophie, die erst mehr zum Klassischen, später mehr zum Modernen tendiere. Sie zu verstehen, das heißt ihre Strukturprinzipien zu erkennen, wird aufgrund dieser Prämissen als ein höchst komplizierter denkerischer Akt hingestellt. Darin äußert sich ein Erkenntnisinteresse, das einerseits – trotz aller unnötigen Verkomplizierungen und kennerischen Zurschaustellung handwerklicher Techniken – durchaus viele erhellende Züge aufweist, jedoch andererseits immer wieder ans Exklusive, ja Esoterisch-Elitäre, wenn nicht gar Überhebliche grenzt. Und zwar macht sich diese intellektuelle Arroganz in Adornos Beethoven-Fragmenten auf mehreren Ebenen bemerkbar, für die hier wenigstens einige Beispiele herangezogen werden sollen, die weitgehend für sich selbst sprechen.

So wird etwa von Adorno die Beethovensche Musik – ohne die leisesten Skrupel – mehrfach als ein Phänomen hingestellt, das sich offenbar nur wenigen Connaisseuren erschließe. Ja, manche ihrer Werke solle man eher »lesen« als hören, wie er schreibt (vgl. Adorno 1994, 21). Beethovens Symphonien im Rundfunk zu übertragen, stellt Adorno demzufolge als eine eindeutige »Banalisierung« hin, da sich auf diese Weise ihre »intensive Totalität« in eine »chronologische Folge von Episoden« auflöse. Bei Hörvorgängen


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