- 153 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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von Subjekt und Objekt in eine im Werden begriffene Synthese überführt. »Der Wille, die Energie«, welche in Beethovens Musik »die Form in Bewegung setzt«, heißt es deshalb zusammenfassend, ist bei ihm »immer das Ganze, der Hegelsche Weltgeist « (31).

Ad 2. Zu gleichen oder ähnlichen Folgerungen kommt Adorno stets dann, wenn er auf die strukturelle Formdialektik der ›klassischen‹ Sonaten und Symphonien Beethovens zu sprechen kommt, in deren Kopfsätzen sich Haupt- und Nebenthema oft wie These und Antithese gegenüberständen. Auch in diesen formalen Einzelzügen sieht Adorno weniger einen rein subjektiven, ja persönlich-privaten Gestaltungswillen als einen »objektivierten«, von der »Zufälligkeit der Individuation« abgelösten Willen am Werke (29). Aufgrund ihrer strengen Formgesetze, die sie zwar ständig abwandele, aber dennoch immer wieder rekonstruierend bestätige, könne sich in der Beethovenschen Musik, wie Adorno behauptet, das »Eigene« – im Gegensatz zu der mit Worten und Begriffen operierenden Literatur – nie »unmittelbar«, sondern nur objektiv »vermittelt«, das heißt als gestalterischer Prozeß, kurz: als »Philosophie« aussprechen (vgl. Adorno 1994, 31). Daher sei in ihr, wie in Hegels Weltsicht, alles dialektisch aufeinander bezogen, ohne daß den einzelnen Teilen eine vom ›Ganzen‹ losgelöste Eigenwilligkeit eingeräumt werde. Ja, in diesem Punkte sei Beethoven »Hegelischer als Hegel« (231), was an der zu gestaltenden Beschaffenheit seines Materials liege, das »an sich« immer schon da sei, aber dennoch der ästhetischen Vermittlung bedürfe (vgl. Adorno 1994, 46).

Um diese philosophischen Thesen, die auf Adornos Grundüberzeugung beruhen, daß die deutsche Musik um 1800 viel stärker mit der damaligen Philosophie »konvergiere« als die gleichzeitig entstandene Literatur (vgl. Adorno 1994, 55), nicht im leeren Raum stehenzulassen, baut er in seine aphoristischen Notate ständig kurze Formanalysen einzelner Beethovenscher Werke ein. Dabei stellt er vor allem, wie zu erwarten, jene »Formideen« in den Mittelpunkt, die auf den Prinzipien der Hegelschen Dialektik beruhen (vgl. Adorno 1994, 24). So erscheint ihm etwa die gesamte Klaviersonate op. 101 »eminent Hegelisch« (186). Der l. Satz stelle das »Subjekt« vor, der 2. »entäußere« es und der 3. bilde die »Synthesis«, und zwar »aus der Kraft der Objektivität heraus, die im Prozeß als mit dem Subjekt, dem lyrischen Kern identisch sich erweist« (186). Doch nicht nur in diesem Fall, auch bei Analysen anderer Beethovenscher Sonaten und Symphonien, in denen sich Adorno vornehmlich auf die »Formidee« konzentriert, ist fortwährend im Hegelschen Sinne von »Vermittlung«, »Entäußerung«, »Negation«, »Aufhebung«, »Dialektik« oder »Wahrheit des Ganzen« die Rede, um so seinen vorangestellten Thesen eine größere Beweiskraft zu geben.


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