- 15 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Tod bei Mahler werden für ihr musikalisches Denken und Empfinden vorbildhaft. In Wien findet sie zur Zwölftonkomposition Arnold Schönbergs. Verschiedene Stile dienen ihr als Anregung. Sie formt sie in eine persönliche Ausdruckssprache um. Oberstes Prinzip ist die Verständlichkeit des musikalischen Ausdrucks. Der kompositionstechnische Selbstzweck ist ihr fremd. Frühe Versuche mit neuen Stilmitteln treten in den Hintergrund. Klangexperiment, Klangverfremdung und geräuschhafte Komposition nehmen einen geringen Stellenwert ein. Zufallselemente beziehen sich immer auf zeitlich begrenzte rhythmische, nie auf polyphone oder harmonische Strukturen.

In Brunhilde Sonntags Notation ist ein Verzicht auf Taktierung an zentralen Stellen zu bemerken. Er deutet darauf hin, daß die Bewegung der Stimmen ihr Zeitmaß in sich selbst und in der Beziehung der Stimmen zueinander finden soll; so vor allem im II. Streichquartett und in der Musik für Streichquartett und Blockflöte vom Dezember 1992. Die objektiv meßbare Zeit wird zur subjektiv erlebten Dauer. Das vom Interpreten zu bestimmende Tempo dient in diesen Passagen dem harmonisch-melodischen Spannungsgefüge. Die Interpretation soll die Dauer der Klänge aus der immer neu empfundenen Spannung der Stimmen zueinander entwickeln.

Die Klavierkomposition Als wär’s ein Engel... vom September 1992 beginnt mit 22 ruhig und gleichmäßig zu spielenden Akkorden. Weitere Akkordfolgen stehen in Wiederholungszeichen. Der Interpret paßt die Wiederholungen der einzelnen Modelle seiner eigenen Stimmungslage und der des Publikums an. Die Gesamtdauer des Stückes ist offen. Die Reihenfolge der Formteile liegt fest. Ähnlich verfährt sie im Mittelteil der Studie für Flöte, Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Violoncello vom März 1993. Die Wiederholung zweier Modelle von 4/4- und 3/8-Werten ist freigestellt. Die Musik sensibilisiert für Formen zwischenmenschlicher Kommunikation. Im Mittelpunkt steht das Erspüren von Stimmungen und Spannungen. Musik wirkt erlebnisvertiefend und menschenverbindend. Über das Lied Der Gast von 1983 nach Paul Celan schreibt die Komponistin: »[...] in dem Lied Der Gast wird die Grundstimmung des Textes musikalisch ausgedrückt: die Unwirklichkeit des Gastes, die lichte Vorstellung vom Einverständnis zwischen zwei Menschen, die Freundlichkeit der Erinnerung an einen geliebten Menschen« (Komponieren – eine der schönsten Formen menschlicher Selbstverwirklichung, S. 43-51) (Klangbeispiel 1: Der Gast von 1983 nach Paul Celan)

Von besonderer Bedeutung sind persönliche Erlebnisse und zwischenmenschliche Begegnungen. So entsteht die Idee zum ersten Satz der Kammermusik Chants de la vie nach einem Besuch an einem Ostersonntag auf dem Disibodenberg, dem Kloster der Hildegard von Bingen. »Nach einem langen Winter mit Kälte und Schnee brach die Natur auf. Das ist in dem


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