- 145 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Schöpfung« als »Tatsache, die mitten im Unbestimmten geschieht«. Neu ist die Definition dessen, was Lyotard »Beginn« nennt: »Der Beginn ist, dass es gibt.« Ferner: »Das, was geschieht, kommt danach.« Und: »Die Welt (ist) das, was es gibt.« Diese eher verwirrenden denn klärenden Aussagen lassen eine angemessene Interpretation der Überlegungen Lyotards beinahe unmöglich erscheinen. Handelt es sich bei der Bestimmung des Newmannschen Sujets und des Lyotardschen Beginns um ein rein empirisch-visuelles Ereignis, das – sowohl im Hinblick auf das »dass es geschieht« (der künstlerische Schöpfungsakt) wie auch auf das »dass es gibt« (das Produkt, das Bild) – auf nichts anderes verweist als auf sich selbst? Oder aber akzeptiert Lyotard die metaphysisch geprägten Vorgaben von Newman und Hess lediglich, um das Nicht-Darstellbare im Sinne seiner Theorie des Erhabenen sichtbar zu machen? Das würde bedeuten, dass er Newmans Werke als Symbole für die Schöpfung im Sinne der Genesis versteht: Sie würden auf ein Anderes verweisen, gleichsam auf die »creatio ex nihilo«, die der Künstler stets erneut wiederholt und die sich im Dasein des Bildes manifestiert. In diesem Sinne wäre »Epiphanie« nicht reduziert auf das nackte empirische Erscheinen des Bildes, nicht auf die Tatsache, dass es das Bild gibt, sondern würde Spielraum gewähren für die Frage nach seinem was. Doch wie soll Lyotards Begriff der »Präsenz« verstanden werden, der auch in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielt und der erklärtermaßen die Präsenz von »Nichts« bezeichnet?

Mit Bezug auf einen Text, den Hess zufolge Newman 1963 im Zusammenhang mit dem Entwurf für eine Synagoge geschrieben habe (wiederum ohne Quellenangabe), spricht Lyotard von einer Verdichtung des jüdischen mit dem indianischen »Raum«, die bei Newman stattfinde. Darin sieht er Newmans »Versuch, die Präsenz einzufangen«, die der »Augenblick« sei, der das »Chaos der Geschichte« unterbreche und daran erinnere, »dass etwas da ist, bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat.« 34

34 Vgl. ebd. 154f. Das folgende Zitat 154.
Meint Präsenz hier den bilderlosen alttestamentlichen Gott, den zu erwartenden Messias, den »deus absconditus«? Newman selbst scheint unter Präsenz noch ein weiteres (bzw. anderes) zu verstehen als Lyotard, der darauf hinweist, dass Newman 1949 die Grabhügel der Miami-Indianer in Ohio besucht habe und zutiefst ergriffen gewesen sei. Newman: »Hier bin ich, hier ... und dahinten, da unten (über die Grenzen des Ortes hinaus), da ist das Chaos, die Natur, die Flüsse, die Landschaften ... Aber hier versteht man den Sinn seines eigenen Daseins (présence) ... Die Idee kam mir, den Betrachter präsent zu machen, die Idee, dass ›der Mensch präsent ist‹ ...« In diesem Text geht es klar und deutlich um die Präsenz des Menschen, des konkreten Subjekts – durchaus im Sinne

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