- 143 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
  Erste Seite (2) Vorherige Seite (142)Nächste Seite (144) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Trug, es wäre bloß Exemplar. Solches Denken ist solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes.«29
29 Adorno: Gesammelte Schriften. Bd. 6. 400.

Genau diesen Satz, der sein eigenes geschichtsloses Denken kennzeichnen soll, nimmt Lyotard unter lapidarer Berufung auf Adorno zum Anlaß für eine Äußerung ganz anderer Art:

»Die Mikrologie schreibt das Vorkommnis eines Gedankens in den Zerfall des großen philosophischen Denkens ein, als das Ungedachte, das zu denken bleibt. Der avantgardistische Versuch schreibt das Vorkommnis eines sinnlichen ›Now‹ in den Zerfall der großen repräsentativen Malerei ein, als ein ›Now‹, das nicht dargestellt werden kann. Wie der Mikrologie ist es der Avantgarde nicht um das zu tun, was dem Subjekt widerfährt, sondern um das Geschieht es? ... Und in dieser Weise gehört sie der Ästhetik des Erhabenen zu.« 30

30 Lyotard: Das Erhabene und die Avantgarde (Anm. 21.) 182.

Das spricht für sich. Für Adorno bedeuteten, in der Sprache Lyotards gesagt, »Mikrologie« und »avantgardistische Versuche« das Zum-Ausdruck-Bringen der gesellschaftlichen Wahrheit unserer Zeit. Für Lyotard bedeuten sie das Hervorbringen eines Undarstellbaren, eines »Now«, das als reines »Dass«, im Sinne des »Ereignisses«, leer bleibt. Oder doch nicht? Abschließend möchte ich versuchen, auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Unter dem Titel Der Augenblick, Newman – ein Beitrag, den Lyotard 1984 für den Katalog der Ausstellung »Zeit – Die vierte Dimension der Kunst« schrieb –31

31 In: Das Inhumane. 141–157. Im folgenden Zitatnachweise mit Seitenzahl im Text.
geht er näher auf Bilder dieses Künstlers ein. Allerdings interpretiert er auch hier nicht die Bilder selbst, sondern beruft sich auf »Legenden«, das heißt, auf Aussagen Newmans und seines Freundes und Interpreten Hess. Zunächst betont Lyotard, dass Newman auf das Problem der Zeit eine »unerwartete Antwort« gebe, nämlich die: dass »das Bild selbst die Zeit ist«, es ist »Ereignis«, es ist »der Augenblick, der geschieht« (141f.). Newmans Bilder seien »Verkündigungen«, »Epiphanien«; sie seien »Engel«, die jedoch nichts verkündigten, vielmehr sei das Bild »selbst die Verkündigung« (143). Die »Botschaft«, die es mitteile, spreche von »nichts« sie gehe von niemandem aus: »Die Botschaft (das Bild) ist der Bote, es sagt: ›Hier bin ich‹, das heißt: Ich bin Dein, oder: Sei mein. ... Die Botschaft ist die Präsentation, aber von nichts, das heißt von der Präsenz.« (145) Was ist mit dem Begriff Präsenz gemeint?

Deutlich sagt Lyotard, dass nicht »auf eine unmögliche Präsenz« angespielt werde (im Sinne des verlorenen Absoluten). Ist Präsenz eine Modifikation des »Now«, des Ereignisses, des Vorkommnisses? Newman gehe es darum, so heißt es weiter, »der Farbe, der Linie und dem Rhythmus die


Erste Seite (2) Vorherige Seite (142)Nächste Seite (144) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 143 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft