- 141 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Was ist hier neu bzw. anders als das in Adornos Kategorie der »Stimmigkeit« Gefaßte, das nach dem Zerbrechen verbindlicher Stilkategorien nach der inneren »Logik«, nach dem Wie des Gemachtseins eines jeden Werken fragt? Die Kriterien der Beurteilung müssen im jeweiligen Werk selbst aufgesucht werden, genau also dasjenige, was Text oder Werk nach Lyotard »suchen« (203). Überhaupt scheint alles, was Lyotard an unterscheidenden Merkmalen zwischen moderner und postmoderner Ästhetik zugunsten der postmodernen vorschlägt, der Theorie Adornos entlehnt zu sein: Sie verweigert sich dem »Trost der guten Formen«, dem »Konsensus des Geschmacks« und dem »Genuß« ebenso, wie sie dem »Nicht-Darstellbaren« Rechnung trägt im Philosophem des »Rätselcharakters« der Kunstwerke.

Aus Lyotards Charakterisierung der modernen Kunst als erhabene ergibt sich ihr experimenteller Charakter. Die Anspielung auf das Nicht-Darstellbare, die sie zu leisten hat, erfolgt, »um die Regel dessen zu erstellen, was gemacht worden sein wird«, das gilt für Künstler, Schriftsteller und Philosophen gleichermaßen (mithin auch für Lyotard selbst) (203). Wie bereits angedeutet, hat jenes Nicht-Darstellbare keinesfalls etwas zu tun mit der »Sehnsucht nach einem Absoluten, das verloren ist«, nichts mit einem »verlorenen Ursprung oder Zweck«26,

26 Vgl. Lyotard: Immaterialität und Postmoderne 99.
sondern liegt einzig »im Unendlichen der sich wandelnden Realien«. Die Norm-setzende Option für die Realisierung des Nicht-Darstellbaren gilt, nach meinem Verständnis, einer Ästhetik des l’art pour l’art, auch wenn Lyotard selbst dies leugnet. Sehr verwunderlich erscheint mir daher der emphatisch anmutende Satz: »Diese Frage (des Nicht-Darstellbaren) ist in meinen Augen allerdings die einzige, die im kommenden Jahrhundert den Einsatz von Leben und Denken lohnt.« Es ist unmittelbar einleuchtend, dass sich auch die Kategorie der Pluralität für eine experimentell verfahrene Kunst aus Lyotards Ästhetik des Erhabenen ableitet.

Lyotards »affirmative Ästhetik« wendet sich gegen die Ästhetik Adornos, mit der sie auf mancherlei Weise verbunden ist – mehr vielleicht als sie zugeben würde. Wie festgestellt ändert die postmoderne Ästhetik ihre Bewertungsmaßstäbe. Sie analysiert nicht konkrete Werke, um Tendenzen und Entwicklungen aufzuzeigen; vielmehr beschreibt sie diese pauschal und leitet daraus programmatisch die Aufgabe der modernen Kunst ab. Trotz Lyotards Rückbezug auf das kantische Erhabene, trotz der Abgrenzung von ›metaphysischen Restbeständen‹ bleibt sein ominöses Nicht-Darstellbare eigentümlich unterbestimmt. Sein dezidierter Hinweis darauf, dass es »im Unendlichen der sich wandelnden Realien« liege, gibt wenig Aufschluß. Denn was versteht Lyotard unter »Realien«? Das bildnerische Material, wie Leinwand,


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