- 140 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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der Akzent auf »das Denkvermögen gelegt werden – sozusagen auf dessen ›Unmenschlichkeit‹ ... –, und auf die Steigerung des Seins und den Jubel, die von der Erfindung neuer Spielregeln, bildnerischer oder künstlerischer, oder ganz anderer, ausgelöst werden« (201). Zur ersten Weise, der »melancholia« zählt er die deutschen Expressionisten, zur anderen, der »novatio«, Braque und Picasso. (Ebd.)

Innerhalb dieses Rahmens grenzt Lyotard moderne und postmoderne Ästhetik voneinander ab. »Die moderne Ästhetik ist eine Ästhetik des Erhabenen, bleibt aber als solche nostalgisch. Sie vermag das Nicht-Darstellbare nur als abwesenden Inhalt anzuführen, während die Form dank ihrer Erkennbarkeit ... weiterhin Trost gewährt und Anlaß von Lust ist.« (202; H.v.m.) Sollte Lyotard mit dieser Charakterisierung die Theorie Adornos im Auge haben, so trifft das über Inhalt, Form, Trost und Lust Gesagte schlechterdings nicht zu. Weder sind die musikalischen Werke der Avantgarde ohne »Inhalt« (wie könnte sonst von ihrem Wahrheitsgehalt gesprochen werden?), noch vermitteln Fragmente und geschlossene Formen »Lust« oder gar »Trost«. Die jäh aufblitzenden Momente des Glücks, von denen Adorno spricht, sind seltene Ausnahmeerscheinungen und negativ verortet: »Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird.«24

24 Adorno: Gesammelte Schriften. Bd. 7. 205. Zum Folgenden vgl. ebd. 363f.
Die zentrale Kategorie der ästhetischen Erfahrung ist nicht Lust, sondern »Erschütterung«; die Kategorie der mit der ästhetischen Erfahrung korrespondierenden metaphysischen Erfahrung ist das »vergebliche Warten« das nicht »verbürgt ... worauf die Erwartung geht, sondern ... den Zustand« reflektiert, dessen »Maß« die »Versagung« ist. Das sucht Adorno aufzuzeigen an bestimmten Stellen von Alban Bergs Opern Wozzeck und Lulu.25
25 Vgl. Adorno: Gesammelte Schriften . Bd. 6. 368.

In Abgrenzung von der Moderne als einer nostalgischen Ästhetik des Erhabenen »wäre« für Lyotard das Postmoderne

»dasjenige, das im Modernen in der Darstellung selbst auf ein Nicht-Darstellbares anspielt; das sich dem Trost der guten Formen verweigert, dem Konsensus eines Geschmacks, der ermöglicht, die Sehnsucht nach dem Unmöglichen gemeinsam zu empfinden und zu teilen; das sich auf die Suche nach neuen Darstellungen begibt, ... um das Gefühl dafür zu schärfen, dass es ein Undarstellbares gibt. Ein postmoderner Künstler oder Schriftsteller ist in derselben Situation wie ein Philosoph: Der Text, den er schreibt, das Werk, das er schafft, sind grundsätzlich nicht durch bereits feststehende Regeln geleitet und können nicht beurteilt werden, indem auf einen Text oder auf ein Werk nur bekannte Kategorien angewandt würden.«  (202f.)


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