- 138 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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diese »Figur«, da sie selbst als »Gestalt der Erkenntnis« – paradox – nur »begriffslose« Kunst ist, um ihres Wahrheitsgehalts willen der zweiten Reflexion. Denn wie, so wäre zu fragen, ist das unerkennbare Transzendente zu deuten, das in den fragmentarischen Werken aufscheint? Als Möglichkeit einer innerweltlichen Versöhnung durch Veränderung der Gesellschaft? Als jenseitige Versöhnung, wie immer diese auch zu denken sei? Als etwas, das die Lebensnot dem Menschen zu wünschen und zu denken aufgibt und das doch – agnostizistisch – nie eine sichere Antwort finden kann? Alle Fragen implizieren die moralische Aufforderung zur Veränderung der Praxis, zur »Rettung« des verlorenen Subjekts; in der »Chiffre des Leidens« (Kurt Oppens) ruft die »neue Musik« dazu auf.

Lyotards Denken über die Kunst entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit der Malerei der Moderne, insbesondere mit der Malerei des abstrakten amerikanischen Expressionismus; sie findet in einer Reihe von Essays ihren Niederschlag. 15

15 Siehe dazu die Literaturhinweise von Walter Reese-Schäfer in: Lyotard zur Einführung. 163ff. – Eine Vorform meiner Ausführungen findet sich in Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen. 67–74.
Folgende Grundzüge kennzeichnen für ihn die moderne Malerei: Dekomposition, Reflexion, das Erhabene, Experiment und Pluralität.16
16 Die Kategorisierung folgt Wolfgang Welsch in: Die Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst. In: Philosophisches Jahrbuch. 97 (1990). 19–24.

Die Dekomposition zeigt sich in der Auflösung des verbindlichen »integralen Kunstbegriffs«, derzufolge die Malerei nur noch isolierte Elemente und Strukturen repräsentiert.17

17 Vgl. Lyotard: Essays zu einer affirmativen Ästhetik. 51.
Ähnliches gilt für die Reflexion, in der Lyotard das entscheidende Kriterium für die Veränderungen in der Kunst sieht: Moderne Kunst hat erkannt, dass die Wirklichkeit in einem solchen Maße destabilisiert ist, dass sie zwar Stoff für »Erkundung und Experiment« bereitstellt, aber nicht mehr für »Erfahrung«.18
18 Vgl. Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? 195.
Durch diesen Verlust an Wirklichkeit werden die Avantgarden zur Reflexion auf alle bisher für sie geltenden Verbindlichkeiten gezwungen.19
19 Vgl. Lyotard mit anderen: Immaterialität und Postmoderne. 38.

Während die Kategorien Dekomposition und Reflexion eine geschichtliche Entwicklung beschreiben, führt der Begriff des Erhabenen, den Lyotard nach eigenen Aussagen von Kant her gewinnt20

20 Vgl. Das Undarstellbare – wider das Vergessen . Ein Gespräch zwischen Jean-Francois Lyotard und Christine Pries. In: Das Erhabene. 320f., 328ff., 346f.
zum theoretischen Kern seiner Ästhetik. Dazu angeregt wurde er durch Texte von Barnett Newman, vor allem durch dessen Essay The Sublime is now.21
21 Vgl. ebd. 322; ferner bes. Lyotard: Das Erhabene und die Avantgarde. In: Merkur . 38 (1984), 151–164. Nachweise im folgenden mit bloßer Seitenzahl im Text.
Lyotard übersetzt diesen

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