Marschrhythmus, um aus dem lahmen, zögernden oder auch
nur ängstlichen Carlos einen Handlungsträger zu machen. In dieser
Sekunde fällt der Schuß. Sterbend singt er seine große Arie,
schon von der ›überirdischen‹ Begleitung der Harfe geleitet. Es gibt
wenig vergleichbare Szenen der Operngeschichte, die so viele Aspekte des Sterbens
um einer Sache wegen subsumieren. Und dabei – dies vergesse man nicht – stirbt
Posa nur stellvertretend, sieht er den Tod als Opfer an. Dies tut er nicht
etwa um seines eigenen Vorteils wegen, sondern weil er keine andere Chance
für die Veränderung der politischen Situation sieht.
Ich habe schon angedeutet, daß die Komponisten sehr sorgsam mit
der unmittelbaren Darstellung der Selbsttötung umgehen. Im wesentlichen
wird diese von fast allen vermieden, obwohl sie sich – und dies zeigt die
Musikgeschichte auch ganz deutlich – den Selbstmord im Rahmen der musiktheatralischen
Erzählstruktur als eine Handlungsalternative vorstellen können.
Dennoch weigern sie sich, den letzten Schritt – so scheint es mir – zu gehen.
Warum? Es könnte sein, daß eine christliche Heilslehre, die dem
Selbstmord immer ablehnend gegenüberstand, ihre Spuren im Denken der
Komponisten hinterlassen hat. Für eher wahrscheinlich halte ich allerdings
eine gewisse Analogieform der Systeme Religion und Kunst; Stichworte: Theologie
wie Kunst haben Zielvorstellungen außerhalb der realen Existenz; die
Konzentration auf zentrale und wesentliche Anliegen des Mensch-Seins lassen
Ablenkung, Verwirrung und Sich-Lösen aus dem Verband kaum zu. Und: In
der Logik der Argumentation ist der Suizid mit seiner Benutzung des emotionalen
Außer-sich-Geratens eine Dimension außerhalb einer darzustellenden
Kontrollinstanz von Moral und zeitloser Gültigkeit. Dies bedeutet nicht
die Mißachtung des Umstands, daß gesellschaftliche Zwänge
das Individuum in Bedrängnis und Not führen können, daß
Krankheit oder auch Lebensüberdruß möglich sind. Aber Kunst
begnügt sich nicht mit Beschreibung der Realität, sondern trägt
in sich qua Definition immer auch den Schimmer der Utopie, ein suprahumanes
Konzept, eine Vorstellung von einem metaphysischen Sein, das parallel zum
existentiellen, zumindest in seinen Umrissen schemenhaft erkennbar gemacht
werden muß. Und deswegen, glaube ich, ist es mit der Ankündigung
des Selbstmordes bei positiv besetzten Handlungsträgern auch getan,
ist die schmerzvolle Bewußtwerdung der Möglichkeit nahezu so viel
wie der Vollzug.
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Suizid angekündigt?
Ich belege dies an zwei Beispielen, die nicht zufällig von einem Komponisten
stammen, der neben Giuseppe Verdi und Claudio Monteverdi diesem
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