- 127 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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bedürfen auch nicht einer gesellschaftlichen, sondern einer übergeordneten Distanz, und sei es nur in Form eines wiederauferstandenen Toten. Mozart diskutiert dieses Problem tatsächlich auf der Ebene der Gleichwertigkeit der Standpunkte. Das heißt nicht, daß er sich der Stellungnahme entzieht, sondern eher schon der bewußten Position; gleichgültig, auf welcher Seite der Kontrahenten das Wort spricht. Demnach ist auch das Sextett am Schluß dieses Finales nicht Zufriedenstellung des Unterhaltungsbedürfnisses oder Aufhebung des Tragischen, sondern Klärung, daß auf Grund der gewählten Position die Folgerungen unabdingbar konsequent und weitreichend, alltäglich übersetzt auf jeden immer und zu jeder Zeit zugeschnitten sind. So dreht sich denn auch das Zwiegespräch zwischen dem Komtur, als Vertreter einer humanen, menschenwürdigen Gesellschaft, und Don Giovanni, als Repräsentant des Rechts auf Eigengenuß, um die Frage der Beendigung dieses Zustandes, um die glasklare Entscheidung des Ja und Nein, mit dem auch die letzten Dialogstellen zwischen den Antipoden quasi computerentscheidungsverkürzt dargestellt werden. Don Giovanni hätte immer auch ja sagen können. Leporello sagt ihm selbst die Ausreden vor. Aber er steht zu seinem Leben, übernimmt die Selbstverantwortung für sein bisheriges Dasein und nimmt damit den Untergang in Kauf. Die Alternative zum bisherigen Verlauf ist für ihn nicht die Änderung des Lebens, sondern die Ungewißheit, die ihm im Verderben droht. Mozart erweist dieser Haltung ebenso Respekt wie jener transzendenten, so schwierig umzusetzenden Antipodie des Komturs.

Giuseppe Verdi schuf mit seiner Oper Aida eine Parabel, deren Sinn durch die Zerteilung dieser Oper in Highlights zerstört wurde und deren inhaltliche Bedeutung wohl auch die meisten Regisseure und Bühnenbildner nicht erkannten. Denn Thema dieser 1871 fertiggestellten und in Kairo uraufgeführten Oper ist das Gastarbeiter- oder Asylantenproblem, die Tatsache, daß ein fremder Mensch – Aida – in eine Gesellschaft gerät und quasi als einziger am Schluß als glaubhafte, soziale Alternative innerhalb dieser Gesellschaft übrigbleibt. Diese Aida steht nicht nur für die Unterdrückung des Menschen, sondern sie ist auch in ihrer liebenden Substanz, die das Konzentrat aller von Verdi geschätzten menschlichen Kräfte darstellt, eine Art Allegorie intakter Menschlichkeit, die Verkörperung der Unschuld, die an der Inhumanität, den Zwängen und den Machtspielen der Gesellschaft zerrieben wird. Aida ist die einzige Lichtgestalt in dieser auch heute nach wie vor oft diskutierten Oper, die einzige, die imstande ist, sich klar zu entscheiden, und die den Tod an der Seite des von ihr geliebten, aber wahrhaft schwachen Helden dem Leben vorzieht. Es ist kein Zufall, daß Giuseppe Verdi in seinem Schlußduett Aida den Ton angeben läßt und Radames nur ihre Worte wiederholen kann, daß er, selbst in der letzten Minute, nur von sich und seinen Gefühlen redet, bis ihn das Selbstmitleid übermannt und nur Aidas hochriskante


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