- 110 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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der Kontraste zwischen wuchtigen, zuweilen aggressiven Akkorden in extremen Lagensprüngen und lyrischen und fließenden Passagen, weit über die romantische Tonsprache hinaus. Ein Werk, das ebenso die souveräne Komponistin wie auch die Pianistin erkennen läßt, die vor keinen technischen Schwierigkeiten zurückzuschrecken braucht. Man möchte dieses Werk auch heute in Klavierprogrammen hören.

1922 wurde der Sohn Jost Michaels geboren. Er wird später einer der führenden Klarinettisten werden und die Werke seiner Mutter zur Aufführung bringen. In dieser Zeit schuf sie (vorausblickend?) ein Werk für Solo-Klarinette, die Stimmungen eines Fauns op. 11, das sie der befreundeten Malerin Anita Rée widmete, die sie porträtiert hatte, und die sich als Jüdin 1933 das Leben nahm. In drei Sätzen zeichnet das Soloinstrument, vergleichbar dem Stift der Grafikerin, in höchst expressiver freitonaler Linie die verschiedenen Stimmungen des Pan-Wesens nach. Auch dieses Stück, so scheint mir, könnte heute mit Erfolg die Programme der Klarinettisten bereichern. Mit den Stimmungen eines Fauns hatte sich die Komponistin, die bisher vorwiegend für ihr eigenes Instrument komponierte, anderen Besetzungen zugewandt. Anfang der 30er Jahre schuf sie die Suite für Violoncello solo op. 15, ein Werk, das sich in Satzfolge und Satzcharakteren zitathaft eng an das barocke Vorbild der Bachschen Solosuiten anlehnt, dieses jedoch verfremdet durch ein freitonales Tonmaterial, das nur an den Satzenden in einen tonalen Schluß einmündet. Auch dieses Werk wäre geeignet, das so begrenzte Repertoire der Cellisten für Solocello zu ergänzen. Ebenfalls Anfang der 30er Jahre entstand die bedeutende Passacaglia op. 16 für Klavier (Klangbeispiel op. 16, Babette Dorn, Piano). Ihr liegt ein achttaktiges freitonales Thema zugrunde, über dem, entsprechend dem barocken Modell, kontrapunktisch, in zunehmend sich verdichtender Stimmigkeit und Figuration, fünfzehn aneinander anschließende Variationen entwickelt werden, die in einem erweiterten Schluß enden. Doch was das Werk so interessant und modern macht, ist der Kontrast zwischen den freitonal sich immer komplexer entfaltenden Stimmen der Variationen, und dem ebenfalls freitonalen, aber streng in den Grundton f eingespannten unerbittlich wiederkehrenden Bassthema. Ein eindrucksvolles Stück, das für Ilse Fromm offenbar sehr wichtig war. Ein Jahr später instrumentierte der befreundete Komponist Frank Wohlfahrt die Passacaglia unter Hinzufügung einer umfangreichen Coda, und in dieser Fassung für großes Orchester kam sie noch nach 1933 und in den 50er Jahren des öfteren zur Aufführung. Von der Kritik wurde diese ungewöhnliche Komposition einer Frau sowohl mit Unverständnis als auch mit hohem Lob kommentiert.

Schon 1921 hatte Ilse Fromm Texte aus Des Knaben Wunderhorn vertont und sich damit der Vokalmusik zugewandt. Nun 1932/33, auf der Schwelle


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