- 13 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Vorstellungen. Man spricht vom "Überschauen" und nicht vom "Überhören" musikalischer Formen. Das "Überhören" hat die entgegengesetzte Bedeutung: Es bezeichnet das Weghören. Der Gesamteindruck musikalischer Formen ist also an räumliche Vorstellungen im Sinne innerer Bewegungsbilder gebunden. Die Form ist zugleich die allgemeinste, Rhythmik und Melodik übergreifende Kategorie musikalischer Bewegungen. Sie tendiert zu Begriffen wie Stil oder Stilmerkmal, ohne in ihnen ganz aufzugehen. Vom Stilbegriff ausgehend wechselt die musikpsychologische Perspektive zur musikhistorischen.

     Bei Ernst Kurth erscheint die musikalische Bewegung am weitesten durchdacht. Der vierte Abschnitt seiner Musikpsychologie behandelt die Kategorien und Erscheinungsformen des musikalischen Bewegungsverlaufs. Melodie, Rhythmus und Form bestimmen den Verlauf musikalischer Klangbewegungen. Keine der drei zentralen Kategorien ist von den übrigen vollkommen zu trennen. Die Melodik umfaßt die Rhythmik, da sie Betonungen und Längenverhältnisse in sich einschließt. Im weiteren Sinne, als "Melos", kann die Melodik selbst rhythmische Erscheinungen mehrstimmiger Bewegungen übergreifen. Andererseits kann der Rhythmus fließende melodische Bewegungen beinhalten. Er wird dann als "Großrhythmus" bezeichnet. Darüber hinaus können kleinste melodische Elemente des musikalischen Verlaufs als Formen fungieren. Melodie, Rhythmus und Form sind als grundlegende Elemente fließender musikalischer Bewegungen nicht voneinander zu trennen. In der "musikalischen "Bewegung" als einer gemeinsamen Wurzel sind Melodie, Rhythmus und Form miteinander verbunden (Vgl. Kurth, Musikpsychologie 251).

     Am 19.Dezember 1931 erscheint im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung eine Kurzbesprechung der eben erschienenen Musikpsychologie von Ernst Kurth. Theodor Wiesengrund Adorno würdigt die Publikation als eine der "wichtigsten Leistungen" der Musikforschung der letzten Dezenien. Der Rezensent lobt Kurths musikalischen Raumbegriff als "metaphorisch, undinglich, durchaus innerpsychologisch". Fraglich erscheint ihm, "ob vollends eine psychologische Begründung von Musik durch so allgemeine, historisch weithin indifferente Begriffe möglich ist, wie Kurth sie zugrundelegt" (Adorno, "Eine Musikpsychologie" 349). Die Besprechung endet mit der Ankündigung einer ausführlicheren Erörterung. Sie erscheint in der Frankfurter Zeitung vom 11. März 1933.

     Nach Adornos Auffassung besteht das Verdienst der Musikpsychologie Ernst Kurths darin, daß sie den Subjektivierungsprozeß, den die Musik im 19. Jahrhundert vollzog, im Theoretischen "entschlossen und konsequent" nachholt (Adorno, "Ernst Kurths Musikpsychologie" 350-351). Ausdrücklich nimmt er Ernst Kurths Ansatz vor naturalistischen und anthropologischen Mißdeutungen in Schutz, welche die musikalischen


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