- 129 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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valse comode" vor (Partitur 182). Der langsame Walzer bezeichnet Tod und Verderben des Stolzius. Fragmentarisch bleiben die Anklänge an den Walzer im A-Cappella-Trio der drei Offiziere. Das Zeitmaß des Walzers erstreckt sich über fünf Takte, mit taktweise wechselnder Taktart. Eisenhardt und Pirzel setzen ihr Gespräch fort. Den redseligen Pirzel "sekundieren" drei junge Fähnriche "pantomimisch, ohne daß er's merkt" (Partitur 190). Ein Fähnrich beginnt ausgelassen im Steptanz, ein paar Treppenstufen herunterzutanzen. In zwei Notenzeilen vermerkt die Partitur den Rhythmus seiner Schritte im Wechsel von Spitze, Hacke und ganzem Fuß. Vom Orchester ist während des kurzen Tanzes allein ein zweistimmiger liegender Klang der Bratschen im Abstand einer Oktave hörbar. Von den Anfeuerungen der Offiziere an den verschiedenen Tischen begleitet, tanzen die drei jungen Fähnriche im Steptanz gemeinsam einige Treppenstufen hinunter. "Die Szene wird ab hier langsam (sehr langsam) immer lauter, so daß der 'Dialog' zwischen Eisenhardt und Pirzel immer stärker beeinträchtigt wird, bis er bis zum 'alla marcia' überschrieen wird" (Partitur 192). Dennoch singen Pirzel und Eisenhardt weiter, als ob sie zu verstehen wären. Gegenüber der Handlung und dem Orchester verselbständigt sich der Tanz. Innerhalb des Gesamtwerkes bildet er zunehmend eine eigene Zeitebene. Begleitet von den Ausrufen und von den geschlagenen Rhythmen der Offiziere an den Tischen, stellen die Steptänzer gegenüber dem Orchester ein gleichberechtigtes Rhythmusensemble, das sich dem Vorbild des Chores der griechischen Tragödie annähert.

     Der eigentliche Tanz der drei Fähnriche beginnt zögernd, unterbrochen vom Trio der drei Hauptleute, die Stolzius' Ankunft im Kaffeehaus kommentieren, unterbrochen auch von Einwürfen des Feldpredigers Eisenhardt, der sich für den unglücklichen Stolzius einsetzt (Partitur 194-195). Ein Fähnrich springt von der Empore herab, die anderen beiden rutschen das Treppengeländer links und rechts hinunter. Im folgenden führen die drei Tänzer einen "polyphonen" Tanz auf. Die Bewegungsrhythmen sind asynchron und kontrapunktierend im Sinne eines komplementären Bewegungsrhythmus'. Die Bewegungsrichtungen sind gegensätzlich. Mit der Präzision eines Schlagwerks sind die beim Steptanz auftretenden Fußgeräusche auszuführen. Gemeinsam mit den Sprüngen geben sie dem Tanz sein Gepräge: Er "verherrlicht das Soldatenleben" (Partitur 199).

     Die unterschwellige, tiefergreifende Bedeutung des Tanzes aber ist die Angst. Während drei Fähnriche im Einleitungsteil in beiden Richtungen eine der Treppen hinauf- und hinuntertanzen, singt ein Fähnrich, der zuvor mit der Andalusierin auf der Brüstung zu sehen war, "mit Leidenschaft": "O, Angst, O", vergißt dann aber, was er sagen wollte und setzt sich wieder hin. Beim Beginn des polyphonen Tanzes findet er die vergessenen Worte wieder. Er singt sie nun im Duett mit dem jungen Grafen. In


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