- 96 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

im Jahre 1928 mit ihrem Manifest zum Tonfilm. Der neue Sprechfilm zeichnete sich durch wirklichkeitsnahe Stoffe aus, beispielsweise soziale Fragen und vor allem Geschichten aus dem Gangstermilieu, was letztlich auch auf die ausgebrochene Weltwirtschaftskrise zurückzuführen ist. Charakteristisch für diese Filme war eine spannende Handlung, aber auch eine bisher ungekannte realistische Geräuschwelt wie Polizeisirenen oder Maschinengewehrfeuer. Musik war hier nicht notwendig. Doch diese Realismuswelle dauerte nicht lange, denn die Weltwirtschaftskrise erzeugte in der Bevölkerung eine solch pessimistische Stimmung, daß es nicht ratsam war, auch noch im Kino eine deprimierende Wirklichkeit vorzuführen. Die Filmindustrie begriff sehr schnell, daß es weitaus wichtiger sei, Filme mit phantastischen und märchenhaften Stoffen zu servieren.15
15 Schmidt 1988, S. 412.

6.2.  Die 30er und 40er Jahre: Sinfonische Operntradition

Der Wunsch nach phantastischen und märchenhaften Stoffen hatte auch Auswirkungen auf die Filmmusik. So komponierte beispielsweise Max Steiner die Filmmusik zu dem phantastischen Streifen King Kong von M. C. Cooper aus dem Jahre 1932. Steiner, der heute als Wegbereiter der großen Hollywood-Sinfonik gilt, tauchte den Film vom Anfang bis zum Ende in Musik. Jede Gebärde und jede Aktion wurde im Sinne einer Verdoppelung entsprechend akustisch nachgerechnet. In der Filmsprache wurde dieses Verfahren auch mickey-mousing genannt, trat jedoch erstmals in Walt Disneys Trickfilm Steamboat Willie auf. Doch zu Steiners musikalischen Deskriptionen tritt zum anderen auch die strikte Bildung musikalischer Themen, die an bestimmte Figuren des Films gebunden sind. Ein bekanntes Beispiel ist das Tara-Thema aus Flemings Vom Winde verweht aus dem Jahre 1939. Durch solche Leitmotivtechniken, die in einem unermüdlichen Musikfluß eingebunden waren, lebte die sinfonische Operntradition Richard Wagners oder etwa Richard Strauss’ wieder auf. Dem schlossen sich auch Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold, Dimitri Tiomkin, Hugo Friedhofer, Miklós Rózsa, Victor Young oder Franz Waxman an, d.h. autonome Musik wurde fortan nicht mehr ausschließlich zitiert, sondern in erster Linie imitiert. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Der Naziterror spülte eine Welle europäischer Kulturschaffender an die sonnige kalifornische Küste. Komponisten wie Steiner oder Waxman flohen Anfang der dreißiger Jahre aus Deutschland, ihr Handwerk haben sie bei Opernkomponisten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gelernt. Sie gelten als Statthalter einer mitteleuropäischen Musiktradition. In dem epischen Kino der dreißiger und vierziger Jahre fanden sie eine Opernersatzbühne. Nicht zuletzt wies der filmische Stoff auch starke Ähnlichkeiten mit den Inhalten der Opern des späten 19. Jahrhunderts auf: Staatsaktionen, die mit romantischen Liebesszenen aufgelockert werden. So wurde beispielsweise auch in Filmen wie Vom Winde verweht oder Herr der sieben Meere (USA, 1940; Regie: Michael Curtiz, Musik: E. W. Korngold) der Vorspann als Ouvertüre ausgewiesen. Versuche, eine eigenständige amerikanische Filmmusik zu begründen, waren dagegen vergleichsweise dünn gesät. Persönlichkeiten


Erste Seite (i) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 96 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik