Vernichtungsprozeß, sondern das Café wird dadurch, daß bestimmte
Musikstücke in seinem Repertoire Aufnahme finden, Gradmesser ihrer geistigen
und seelischen Qualitäten.«10
10 Kurt Westphal: »Wird klassische Musik durch ihre Aufführung in Café und Kino
entweiht?« Allgemeine Musikzeitung 53 (1926) 886.
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Einen anschaulichen Eindruck im Umgang mit den Cue Sheets liefert hier besonders das
Allgemeine Handbuch der Film-Musik von Erdmann und Becce. Auch die bereits zitierte
Monographie von Pauli ist eines der Standardwerke zur Musik des Stummfilms. Eine
anschauliche Analyse originaler Filmkompositionen liefert die Monographie von Rainer
Fabich.11
11 Rainer Fabich: Musik für den Stummfilm. Analysierende Beschreibung originaler
Filmkompositionen. Frankfurt am Main/Berlin u.a. 1993.
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Eine
der ausführlichsten Abhandlungen zur Musik des Stummfilms ist jedoch zweifellos die Dissertation
von Berg.12
12 Berg, Charles Merell: An Investigation of the motives for and realization of music to
accompany the American Silent Film, 1896–1927. New York 1976.
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Neben der Begleitung durch die gängigen Cue Sheets waren die zwanziger Jahre der
Filmbranche auch stark geprägt vom Experiment. Komponisten autonomer Musik wie
Hindemith, Dessau, Honegger, Satie oder Schostakowitsch und natürlich Hanns
Eisler begannen, für das neue Medium Film Musiken zu schreiben. Einen frühen
Versuch hatte bereits Camille Saint-Saens mit seiner Musik zu Die Ermordung des
Herzogs von Guise im Jahre 1908 geleistet. Der Hang zum Experiment war
in den zwanziger Jahren nicht zuletzt durch den Zerfall eines allumfassenden
Kunstverständnisses bedingt, die eine allgemeine Orientierungslosigkeit zur Folge
hatte.13
13 Vgl. Kap. 1.5.2, »Filmmusik als Film-Musik«.
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So komponierte Eric Satie beispielsweise die Musik zu René Clairs Entr’acte (1924), ein
Dokument für filmisch realisierten Dada. Doch auch hier wurden kritische Stimmen laut.
Arnheim kritisiert zu Anfang der dreißiger Jahre die selbstbewußt auftrumpfende
Filmmusik der späten Stummfilmzeit:
»In den letzten Jahren des stummen Films hatte man angefangen, eine
Art Kultus mit ihr zu treiben. Die Dirigenten der großen Kinotheater waren
ebenso berühmte Leute wie die Regisseure, deren Film sie »illustrierten«, und
die Zeitungen bestellten eigne [sic] Filmmusikkritiker, die mit ernster Miene
begutachteten, ob die Begleitung passend oder nicht und welcher Qualität
die verwendete Musik gewesen sei. Man ging dazu über, anstelle der aus
hundert Musikstücken zusammengestückelten Begleitung Originalmusiken zu
verwenden; [...] und an den Konservatorien und Hochschulen wurden eigne
[sic] Klassen für Filmmusik gegründet. Eigentlich unnützerweise, denn die
Filmmusik war immer nur dann gut, wenn man sie nicht bemerkte [...].«14
14 Arnheim 1932, S. 304–305.
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Die Jahre zwischen 1927 und etwa 1930 waren der große Umbruch vom Stummfilm
zum Tonfilm. Für die Orchester, Dirigenten oder Komponisten von Filmmusik bedeutete
die Einführung des Tonfilms Arbeitslosigkeit, denn die neuen Tonfilme waren in erster
Linie zunächst einmal reine »talkies« – Sprechfilme, die weitgehend auf Musik
verzichteten. Die Produzenten setzten ganz auf die Faszination der hörbaren Sprache,
was bald darauf den Widerstand von Stummfilmstars wie Charly Chaplin oder
Filmmusikern hervorrief. Den berühmtesten Einwand gegen den Tonfilm verfaßten die
sowjetischen Regisseure Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow
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