Rapées »Motion
Picture Moods for Pianists and Organists« aus dem Jahre 1924. Sie enthielten
musikalische Stücke, die Grundstimmungen wie Nachtstimmung, Freude, Bedrohung,
Verzweiflung u.ä. charakterisierten und auf jeden Film anwendbar waren. Die Vorlagen
zu diesen Charakterstücken, sofern es sich nicht um originale Zitate handelte, waren
wiederum in der klassisch-romantischen Literatur zu suchen (vgl. den Auszug aus Rapées
Kinothek).7
Das Verfahren setzte sich ab 1913 durch. Werke mit klassisch-romantischem Gestus
wurden bevorzugt, da Filmmusik zum einen fortan mit bildungsbürgerlichen
musikalischen Werten in Einklang stehen sollte. Die Filmindustrie hielt Ausschau nach
jenen »besseren Publikumskreisen« – nicht zuletzt, um die Filmwirtschaft durch eine
möglichst optimale Musikauswahl zu steigern. Die Stummfilmpraxis setzte das
bürgerliche Musikleben fort. Zum anderen, da sich jene Charakterstücke nach Belieben
kürzen ließen und dennoch ihren Ausdruck beibehielten und eine leichte Spielbarkeit
garantierten.8
Darüber hinaus waren sie den meisten Zuschauern bekannt, als solche affekttypisch und
einprägsam. Da sie durch ihren romantischen Gestus ein »bessere Abstammung«
verrieten als beispielsweise jene Ragtimes der »Penny Arcades« waren sie als soziales
Werbemittel sehr wirksam. Gegenüber dem musikalischen Mix der Nickelodeons
verbesserte sich die Qualität der Filmmusik damit gewaltig. Überwiegend wurde die
Filmmusik somit nicht komponiert, sondern vielmehr kompiliert, d.h. sie wurde aus
Einzelnummern unterschiedlicher Herkunft zu »Suiten« zusammengebaut.
Man begann anhand der Cue Sheets über Funktionalität von Filmmusik nachzudenken. Sie wurde fortan zum Gestaltungsmittel des Films erhoben. In den Fachzeitschriften, in Deutschland beispielsweise in Film-Ton-Kunst, die aus Becces 1921 begründetem Kinomusikblatt hervorgegangen war, tauschten Filmmusiker Erfahrungen aus; es wurden Vorschläge für die Begleitung neuer Filme mitgeteilt und für eine gute Filmmusik gestritten.9 Der erste Schritt zur Professionalisierung des Filmmusikers mit eigenem Berufsethos und zur Konventionalisierung des Film-Musik-Bezugs war hiermit getan: man erschöpfte sich nicht mehr darin, passende Musik lediglich allgemein zu dem jeweiligen Film auszuwählen, sondern auch innerhalb des Films gegebenenfalls musikalische Stimmungen zu wechseln, wenngleich autonome Musik hier lediglich stets auf einen bestimmten standardisierten Typ einer Stimmung reduziert wurde, die jederzeit in einer Stimmungskategorie mit einem anderen Werk austauschbar war. Zudem war die Musik rein deskriptiver Art, sie verdoppelte das Leinwandgeschehen in seinem Ausdruck. Doch gab es bereits in dieser Zeit Stimmen, die in dem oberflächlichen Gebrauch von klassischer Musik im Kino wie auch im Café eine Art »Entweihung« sahen, da die Eingliederung in jedem beliebigen Film dem musikalischen Gehalt und seinem Kontext nicht gerecht wurde. Filmmusik wurde mit Caféhausmusik gleichgesetzt. Kurt Westphal schrieb hierzu in der Allgemeinen Musikzeitung im Jahre 1926: »Die Musik darf nur soviel geistige Mitarbeit verlangen, wie der Hörende noch außer seiner jeweiligen Hauptbeschäftigung zu leisten imstande ist. [...] Ein Milieu kann nichts in seinen Bannkreis zwingen, was nicht sein Wesen hebt und unterstützt. Es würde als Fremdkörper empfunden werden. [...] Nicht das Café zieht Werke der Musik in sein Milieu und übt an ihnen einen |