»Musik zielt auf eine intentionslose Sprache. Aber sie scheidet sich nicht
bündig von der meinenden wie ein Reich vom anderen. Es waltet eine Dialektik:
allenthalben ist sie von Intentionen durchsetzt [...]. Musik ohne alles Meinen,
der bloße phänomenale Zusammenhang der Klänge, gliche akustisch dem
Kaleidoskop. Als absolutes Meinen dagegen hörte sie auf, Musik zu sein und
ginge falsch in Sprache über. Intentionen sind ihr wesentlich, aber nur als
intermittierende.«27
27 Theodor W. Adorno: Quasi una fantasia. Frankfurt/M. 1963, zit. n. Kloppenburg 1986,
S. 28.
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Aus dieser Äußerung Adornos läßt sich auch eine Grundlage für Filmmusik als
»semantisches System« erstellen, denn Musik im Film sucht eine Intention auf einer
Bedeutungsebene zu erzielen. Die Bestimmung dieser Semantik – also die funktionale
Analyse von Filmmusik – hat jedoch zunächst die Dramaturgie des Films zu erfassen.
Darauf aufbauend und unter Berücksichtigung der durch den Film bedingten
Determinanten der Musik können strukturelle Zusammenhänge der Musik als Sinn- und
Ausdrucksvermittlung erfaßt werden. Die von Adorno angedeutete Dialektik zwischen
autonomer Musik, die auf eine »intentionslose Sprache« abzielt und der »meinenden
Musik« wird beim Thema des autonomen Zitats im Film offenbar. Diese wird jedoch
entschärft durch den in der These angedeuteten Kontext, den ein musikalisches Zitat in
die Dramaturgie des Films transportiert. Auf diesem Wege wird autonome Musik zu
funktionaler Musik, da der Aspekt der »intermittierenden Intentionen« hiermit erfüllt
wird.
5.3. Das Zitat in der Filmmusik
Nachdem das musikalische Zitat zunächst nur in Hinsicht auf die vorangestellte These
behandelt wurde, soll es nun im Spiegel der Literatur erläutert werden. In der Theorie
scheiden sich die Geister, was die Nützlichkeit von Zitaten angeht. Wie bereits erwähnt
können Zitate autonomer Musik Volkslieder oder Kunstlieder sein, Teile aus sinfonischen
Werken oder Opern. Schneider deklariert das Zitat zu einem Prinzip des Autorenfilms,
der stets im Gegensatz zur arbeitsteiligen Industrieproduktion steht. Im Autorenfilm
erhält der Regisseur die »Machtvollkommenheit« eines freien Schriftstellers oder Autors,
der zur sinnstiftenden Instanz eines Films wird. Er fungiert als eine Art Filter, durch den
alle Anregungen und Interessen durchzugehen haben. Da der Regisseur im Autorenfilm
also in jeder Hinsicht die »treibende Kraft« darstellt, obliegt ihm auch sehr oft die
Musikauswahl. Die Tatsache, daß gerade im Autorenfilm Zitate autonomer Musik
gehäuft vorkommen – »Nicht-Filmmusik« wie Schneider sie nennt – erklärt
er in der Weise, daß der Regisseur mit dem ausgewählten Zitat bestimmte
Inhalte verbindet, die für ihn psychologische oder gesellschaftliche Realität
darstellen – er entwickelt einen affektiven Bezug zum Musikmaterial. Damit
ist die Montage dieser Musik der Montage dokumentarischen Bildmaterials
vergleichbar, da in beiden Fällen Teile kultureller Wirklichkeit zu einer neuen
Wirklichkeit zusammengesetzt werden, die vom Regisseur interpretiert wird. Schneider
belegt dies mit der Praxis einiger Regisseure, beispielsweise Alexander Kluge:
Als »bemooste Musik« mit einer eigenen Rezeptionsgeschichte wird sie für
den Regisseur zu einem Teil der Wirklichkeit, da der Regisseur eine subjektive
Bindung zu ihre entwickelt und die Kluge in seinen
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