»Die Sondermeldungen über den Rußlandfeldzug im sogenannten »Dritten
Reich« verwendeten die heroischen Schlußtakte aus »Les Préludes« von Franz
Liszt. Sofern eben diese Takte in einem Film von heute zitiert werden, entsteht
eine doppelte Assoziation: assoziiert wird zum einen der Liszt’sche Heldenmythos,
assoziiert wird zum anderen eine kriegerische Nazi-Attitüde.«6
Das heißt: ein musikalisches Zitat erfährt durch seine Anwendung im
Film über seinen in den Film transportierten Kontext hinaus eine neue
Verweiskraft durch die Dramaturgie des Films, in dem es zitiert wird. Eine
natürliche Folge: Musik, die vorher als abstraktes Medium keine direkte Aussage
hatte, ist für eine semantische Aufladung in einem neuen Kontext besonders
anfällig.7
7 Hans-Christian Schmidt: »Autonomie und Funktionalität von Musik. Gedanken zu einer
Polarisierung und ihrer didaktischen Bedeutung.« Schweizerische Musikzeitung 117
(1977) 269.
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Dies kann natürlich wie im genannten Beispiel auch eine negativ behaftete oder groteske
Konnotation mit sich bringen. Dies, so Schmidt, »zeigt die traurige Kehrseite der
Kunstmusik-Integration im Film an. Der filmische Kontext bleibt am Werk haften, wie der
Rußlandfeldzug-Sondermeldungs-Geruch an »Les Préludes« von Franz Liszt, und ob das
musikalische Werk jeweils wieder in den Stand seiner autonomen Unschuld zurückfindet, bleibt
ungewiß.«8
Auf diesem Wege kann sich die Verweiskraft für alle folgenden Filme, in denen es
angewandt wird, mitunter vervielfachen. Das Zitat geht nicht »unbeschadet« aus dem
Film heraus. Um die Beweisführung oder Widerlegung der These nicht ad absurdum zu
führen, wird bei den Filmbeispielen jedoch lediglich der ursprüngliche Kontext des Zitats
vorausgesetzt und verwendet, um sein dramaturgische Umsetzung und – entsprechend
der These – darüber hinaus eine eventuelle neue Verweiskraft zu analysieren. Eine
Analyse der These unter filmhistorischem bzw. rezeptionsgeschichtlichem Aspekt würde
hier zu weit führen. Für die Beweisführung oder Widerlegung entscheidend ist hier einzig
und allein das allgemeine Prinzip der Anwendung eines Zitats im Film, das zum einen
den historischen Kontext transportieren soll, zum anderen durch die Dramaturgie des
Films mitunter um eine neue Verweiskraft »bereichert« werden kann. Zwar erläutert
Schmidt in diesem Zusammenhang auch die Wirkungsweise des Stilzitats, die
nach ähnlichen Prinzipien verläuft, doch beschränkt sich die Thematik der
Beweisführung im Rahmen dieser Arbeit auf das im Auszug dargestellte wörtliche
Zitat der autonomen Musik. Einige Begriffsdefinitionen sind daher zunächst
vonnöten.
5.1. Zum Begriff der Autonomen Musik
Autonome Musik wird in der Literatur oft mit den Begriffen der »absoluten
Musik« oder der »Darbietungs- oder Kunstmusik« in Verbindung gebracht
und bezeichnet eine in sich selbst begründete, nicht an Zwecke gebundene
Musik, die den Anspruch erhebt und durchzusetzen vermag, um ihrer selbst
willen als in sich geschlossenes, eigenständiges Kunstwerk rezipiert zu
werden.9
9 Carl Dahlhaus: »Autonome Musik.« In: Carl Dahlhaus/Hans Heinrich Eggebrecht:
Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 1. Mainz 1992a, S. 72.
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Diesen Anspruch rechtfertigt sie vollständig aus der ihr immanenten musikalischen
Logik, die ihr das Gesetz ihres
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