- 66 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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ist »mit einem Zusammenstoß zweier Welten, der beide beschädigt.« Die allgemeine Auffassung Kracauers zur Funktionalität von Musik im Film: eine wenig bedeutungstragende Zutat: »Das Medium, scheint es, kann der Musik keine Hauptrolle gestatten und muß daher automatisch ihren Prioritätsanspruch zurückweisen.«8
8 Kracauer 1996, S. 210.

4.1.3.  Dramaturgisch-Inhaltliche Funktionen

Vor dem Hintergrund der strikten Betonung des funktionalen Sinns von Filmmusik immer bezogen auf einen jeweiligen Film gelten für Thiel drei Versionen dramaturgisch-inhaltlicher Funktionen von Filmmusik: Die Bildillustration, die affirmative Bildinterpretation und -einstimmung sowie die kontrapunktierende Bildinterpretation und -kommentierung.

Zur Bildillustration erläutert Thiel weniger die Bedeutung dieser Funktion als die Möglichkeiten ihrer technischen Realisierung: das mickey-mousing und das underscoring, bei dem der Komponist versucht, mit Hilfe von klanglichen Requisiten naturalistischer Tonmalerei Bewegungselemente, Licht- und Raumwirkungen sowie Schallereignisse der Bilder möglichst eindeutig und synchron in musikalische Strukturen umzusetzen. Auch die musikalische Charakteristik von Schauplätzen (Lokalkolorit) und Epochen (Zeitbezug) sowie die Imitation alter, zeitlich assoziierender Schreibweisen gehört hierzu.

Zur affirmativen Bildinterpretation und -einstimmung beschreibt Thiel wiederum lediglich die Technik, dies zu bewerkstelligen: die mood-technique. Doch im Gegensatz zu Schmidt betrachtet Thiel sie eher als eine Technik, die weniger die physische als die psychische und seelische Verfassung des Leinwandhelden widerspiegelt. Die Musik funktioniert hier als ein Symbol, wenn sie durch ihre klanglichen Strukturen auf etwas hinweist, was das Filmbild selbst nicht zeigen kann.

Die kontrapunktierende Bildinterpretation und -kommentierung bezeichnet Thiel auch als »dramaturgischen Kontrapunkt«. Die Musik ist nicht »affirmativ einfühlend«, sondern ironisierend und kontrastierend. Aus der Divergenz von Bild und Musik entsteht nicht selten eine neue Aussage. Der bewußt angestrebte Kontrast von Bild und Musik läßt den Zuschauer »zwischen den Zeilen lesen.« Die ästhetische Wirkung dieser Funktion kann je nach Fabel und szenischer Konstellation eine satirisch-komische oder ein zutiefst tragische sein. Als solche ist die Musik aktiv und verlangt eine gewisse geistige Mitarbeit des Publikums, weil sie nicht nur klingt, sondern auch ganz bewußt Stellung zu den Bildereignissen bezieht.9

9 Thiel 1981, S. 65–67.
Auch Adorno und Eisler verwenden den Begriff des »dramaturgischen Kontrapunkts«. Sie verdeutlichen diesen mit den Techniken »Bewegung in der Musik gegen Ruhe im Bild« und »Ruhe in der Musik gegen Bewegung im Bild.«10
10 Adorno/Eisler 1976, S. 34–35.

Maas verwendet für die inhaltlich-dramaturgischen Aufgaben der Filmmusik auch den Begriff der semantischen11

11 Maas 1993, S. 205; vgl. auch Maas 1994, S. 36.
Funktionen. Als Element der inhaltlichen Gestaltung kann Musik hierbei konnotativ, denotativ oder reflexiv fungieren. Von

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