insofern, da die Leinwand geräuschlos, die Realität dagegen voller Geräusche
ist. Filme ohne Geräusche sind für ihn eine »angsterregende Erfahrung«. Erst die Musik
als »weltliches Geräusch« garantiert dem Zuschauer die Illusion der Realität. Wie
Geräusche, oder sogar noch mehr als diese, tendiert sie dazu, die allgemeine
Aufnahmefähigkeit des Zuhörers anzuregen. Darüber hinaus ist Musik rhythmische und
melodische Bewegung, die nicht nur die Sinnesorgane des Zuschauers zum Mitschwingen
veranlaßt, sondern teilt sich auch seinen Eindrücken mit. Ästhetische Funktionen
schreibt Kracauer dem Tonfilm zu. Unter der einschränkenden Prämisse, die eigentliche
Aufgabe der Musik sei es noch immer, das Bild doch wieder in den Mittelpunkt
zu rücken, unterscheidet er zwischen kommentierender und aktueller Musik
sowie Musik als Kristallisationskern des Films. Den Kommentar teilt er auf
in Parallelismus und Kontrapunkt, eine Art der funktionalen Einteilung, die
bereits in bezug auf die formale Zuordnung von auditiver und visueller Schicht
thematisiert wurde. Im Parallelismus unterstreicht die kommentierende Musik
die jeweiligen Bildinhalte. Die Auflage des »Hintergrundfüllsels« bleibt hier
weiterhin bestehen. Musik sollte das Bildthema unterstützen, sie sollte sich nicht
eine überbetonend führende Rolle »anmaßen«. In diesem Falle würde sie sich
Kracauer zufolge übersteigern und dazu neigen, den Zuschauer für die weniger
hervortretenden Züge der Episode unempfänglich zu machen, deren Hauptthema sie
eigentlich widerspiegeln soll. Während der Regisseur im Falle der kommentierenden
parallelen Filmmusik gezwungen ist, die bildlichen Aussagen durch die Musik
wiederholen zu lassen, steht es ihm bei kommentierend kontrapunktischer Musik
frei, »der Musik alle möglichen Funktionen und Aufgaben zu übertragen.«
Doch was man sich darunter vorzustellen hat, bleibt bei Kracauer dem Leser
überlassen.
Auch der aktuellen Musik kommt nach Kracauer wie der kommentierenden Musik keine größere Bedeutung zu, denn sie ist als Zufallsmusik eher ein »beiläufiges Zeugnis fließenden Lebens.« Wie die Begleitung durch Musik bleibt auch die Zufallsmusik bei Kracauer im Hintergrund: »Was zählt, ist der Ort, an dem die Melodie ertönt, nicht ihr Inhalt.«6 Er geht sogar soweit, Zufallsmusik und Geräusche auf eine Stufe zu stellen, deren Aufgabe jeweils die Synchronisation des Bildes ist. Musikalische Darbietungen wie Konzertstücke, Solonummern oder Lieder, bei denen die Musik zwangsläufig in den Vordergrund rückt, seien dem Medium Film nicht gemäß, da sich durch die Aufführung auf der Leinwand der Eindruck zugunsten der Musik verschiebe: »Wir könnten ebensogut in einem Konzertsaal sitzen.«7 Kracauer begründet dies vor allem mit der Kameraführung: sobald die Kamerarealität durch Fixierung auf eine musikalische Darbietung unterdrückt wird, mutet selbst die beste Darbietung als etwas an, das nicht in den Film gehört. Das Ergebnis sei lediglich Langeweile. Einen höheren Grad an Eigenständigkeit gesteht Kracauer der Musik zu, wenn sie Kristallisationskern des Films ist. Er unterscheidet grob in Verbildlichte Musik, unter der er verfilmte Partituren versteht, und Opernfilme. Obwohl die Bilder ihre Existenz und Gestaltung der verbildlichten Musik, die eigentlicher Sinngeber ist, verdanken, ist diese in den Hintergrund verbannt. Auch die Verfilmung der Oper lehnt der Autor ab, da die Oper auf der Leinwand gleichbedeutend |