- 58 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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werden kann, sondern viel besser mit »langsamer Musik«, die aus langen melodischen Phrasen besteht, da eine Handlung im Bild vor dem Hintergrund dieser Musik auf den Betrachter schneller wirkt als die Musik verläuft. Zu den wichtigsten Aspekten des Rhythmus gehört die Frage, ob eine Filmmusik mehr »krumm« oder »gerade« ist. Krumme Musik ist freimetrisch, rhythmisch flexibel und agogisch. Sie ist nach Schneider in der zeitgenössischen Ästhetik immer seltener geworden. Meist herrscht die geradtaktige, oft computerhaft maschinell produzierte planbare Musik aus der Studioretorte. Kernstück dieser Tendenz: ungerade Taktarten werden meist verworfen, es herrschen 4/4- oder 2/4-Takt, Filmkomponisten denken in geraden Zahlen wie Vierteln, Achteln und Sechszehnteln. Auch der Dreiertakt von Walzer und Menuett wird verworfen. Schneider steht dieser Tendenz zu geraden Rhythmen sehr kritisch gegenüber. Sie wirken »wie ein überdeutlich kariertes Papier, das man zu einer lebendigen Zeichnung legt, und das nun wie eine Meßlatte jede Lebendigkeit unterwandert. Gerade Computertakte schaden dem Film und machen seine Lebendigkeit hart und schroff«, da maschinell und technisch produziert. Doch gerade der Film, der ein durch Technik produziertes Stück ist, benötigt lebendige »krumme« Musik mit Temposchwankungen, freie Akzente und lebendige Rhythmik, um das technische »Gemacht-Sein« des Films zu überspielen.40
40 N. J. Schneider 1993b, S. 19–28.

3.2.5.  Einsatz und Ende eines Musiktakes

»Take« nennt man eine Musikstelle im Film. Der Punkt der Handlung oder der jeweilige Bildgegenstand, der durch den Moment des Beginnens bzw. des Aufhörens von Musik markiert wird, erhält in der Regel ein besonderes Gewicht. Bereits Adorno und Eisler forderten, daß der Einsatz von Musik durch das Bild – die Handlung – sachlich motiviert sein muß. Bloße musikalische Füllsel und vorgezeichnete Kompositionen am Anfang und am Ende eines Films geschehen aus bloßer Rücksichtnahme auf den Publikumsgeschmack und verderben den Effekt von Filmmusik. Doch der Musikeinsatz, der jenseits jeden Füllsels unabhängig vom Bild entsteht, birgt für Schneider auch gewisse dramaturgische Aufgaben: je unabhängiger der Musikeinsatz von einem Bildakzent ist, desto mehr tritt durch die frei eintretende Musik ein neuer Aspekt in den Film – als würde ein Raum um eine Dimension erweitert. Die Art, wie in einem Film Musik einsetzt und endet, beeinflußt den Stil des Films im ganzen. Analog zur »unsichtbaren Regie« auf der Bildebene ist es auch auf der Ebene der Musik bei vielen Regisseuren verbreitet, die Musikeinsätze unhörbar oder zumindest unaufdringlich zu gestalten. Die Musik kommt und geht unmerklich, als wäre sie im Film immer vorhanden. Filmkomponisten, die eine andere Auffassung von Filmmusik haben – die Musik eher als eigene kommentierende Ebene und nicht so sehr als bildintegrierte Expressionsmusik auffassen, halten sich hingegen eher an das Gegenteil. Musik soll als künstliches und bewußt gesetztes dramaturgisches Mittel erkennbar sein. Für viele Regisseure ist dieses »mitten rein in die Musik« eine Form von »musikalischer Aufstachelung«, von der eine stärkere Wirkung ausgeht.

Der Musikeinsatz: Das Bild, das mit dem Musikeinsatz gekoppelt ist, gibt Aufschluß über die Perspektive, aus welcher die Musik in ihrer Bedeutung zu hören


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