- 57 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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im Bild und dem Tonraum und beschränkt sich bei der Widerspiegelung durch Musik auf die Parameter Bewegungsumfang und Bewegungsrichtung, darüber hinaus auf die zu- und abnehmende Dichte von Bewegungsvorgängen und unterschiedliche Präsenzgrade (nah/fern). Der Umfang einer Bewegung läßt sich durch entsprechende Proportionierung der Tonraumstufen wiedergeben. In Verbindung mit Rhythmus, Tonlage und Klangfarbe werden so auch Größenverhältnisse der Bewegung im Bild indirekt abbildbar. Eindeutig ist für Motte-Haber ein solches Modell deswegen, da sein Gestus auch ohne bildliche Vergegenständlichung begreifbar ist und die Umkehrung der musikalischen Richtung als widersinnige Beziehung zum Bild gelten müßte. Die Extremform eines musikalischen Bewegungsmodells ist das mickey-mousing, in dem die Bewegung im Bild auf Sekundenbruchteile parallel zur Musikbewegung verläuft. Dementsprechend exakt ist der Schnitt von Bild und Musik parallel und meist auf geraden Taktzeiten.

Mit Rhythmus, der immer eine Bewegung voraussetzt, ist sowohl der optische Bildrhythmus als auch der musikalische Rhythmus gemeint. Er ist die zeitliche Strukturierung von sinnlich erfaßbarem Material – von akustischen, optischen und taktilen Reizen. Somit ist Rhythmus eine Zeitgestalt. In diesem Aspekt liegt auch das Moment der Form, das für Rhythmus wesentlich ist. Während Rhythmus im Film sich eher mit den Proportionen von Zeitabschnitten auseinandersetzt, wird mit »Tempo« die Dichte von Zeitabschnitten im subjektiven Erleben bezeichnet. Tempo ist deshalb weniger eine rationale in Zahlen formulierbare Kategorie als vielmehr eine Affektqualität. Schneiders Ausführungen zufolge beeinflußt Rhythmus im Film das Zeitempfinden des Zuschauers in zwei Kategorien: »quantitativ« und »qualitativ.« Der erste Aspekt meint hierbei lediglich das »Beschleunigen« oder »Verlangsamen« der Zeit. Der qualitative Aspekt bezeichnet das Verdichten, Ausdünnen und Strukturieren von Zeit. Dies besorgt zusammen mit dem Rhythmus der Kameraeinstellungen und dem Rhythmus zwischen den agierenden Personen die Musik. Hierbei ist wichtig, wie die Musik strukturiert ist, ob sie ihre Verdichtung ändert, wo die musikalischen Akzente sitzen, ob sie lange oder kurze melodische Phrasen hat, ob sie einheitliche Notenwerte hat oder ob sie intern von der Spannung zwischen klein- und großgliedrigen Rhythmen erfüllt ist, ob sie in regelmäßig-mechanischem oder unregelmäßigem Takt geht. Zeit ist für den Menschen am angenehmsten, wenn er sie nicht verstreichen spürt. Gerade diese Mittel wenden Filmkomponisten in Form von Rhythmik an. Während einer melodischen Phrase, in der beispielsweise ein Geiger von einer Note in die andere gleitet, die der Zuhörer bereits mit Spannung erwartet, so bedient sich der Komponist in diesem Moment durch längere Phrasen dem Mittel der »Zeitlosigkeit« – von nahezu »narkotischem Schwimmen in Musik.« Jene langen Phrasen kann der Filmkomponist auf wichtige Synchronpunkte im Bild legen, beispielsweise Handlungspunkte, Auftreten von Personen, Endpunkte von Dialogen usw. Mit mehreren Phrasen lassen sich zum Beispiel mehr als fünf Minuten im Film abdecken, die damit zur Erlebniseinheit werden und durch die Musik in ungeahnter Weise verdichtet und durch die Synchronität an bestimmten Bildpunkten wie durch Schraubstöcke zusammengehalten werden.

Bei dem Aspekt von schneller und langsamer Rhythmik der Filmmusik weist Schneider besonders darauf hin, daß ein Bildverlauf mit »schneller Musik« nicht beschleunigt


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