oder minder abgesetzt und von
motivischer Aktivität und harmonischer Strebsamkeit befreit ist – quasi als
Chiffre eines musikalischen Naturzustandes – findet sich in der Sinfonie der
Jahrhundertwende sowie in der Oper. Der Film nutzt gerade diese Beschaffenheit
von Musik, um seinerseits in musikalischen Tableaus, in denen die Kamera
Naturlandschaften oder auch Städtelandschaften einfängt, Gefühle zu produzieren.
In den zunehmend standardisierten Formen, die das musikalische Bild in den
sinfonischen Dichtungen erhielt, fand es sich zunächst als Versatzstück im Stummfilm
wieder. Spätestens seit Liszts Bergsinfonie oder Strauss’ Alpensinfonie sind
Streichertremoli, die in einen kompakten Bläsersatz eingebettet sind, zum Symbol
einer heroischen Bergwelt geworden und finden sich in zahlreichen Bergtableaus
im Film wieder. Daß Klangmuster solcher Art in einer Panoramaeinstellung
nicht bloße Verdopplung betreiben, bestätigt sich für de la Motte-Haber daran,
daß sie nicht nur in Naturpanoramen eingesetzt werden, sondern auch in
Stadtpanoramen.35
Der Eindruck der bloßen und billigen Verdopplung stellt sich nur dann ein, wenn die
Musik gewisse kompositionstechnische Merkmale enthält, die regelrecht auf
»Naturidylle« eingeschworen sind. Als solche lösen sie keine Stimmungen aus,
die an das Bild gebunden sind, sondern lediglich den Reflex »Natur«. Adorno
und Eisler nannten dies ironisch »Waldweben mit Flötenmelodie« als »billige
Stimmungsmache«.36
Gemein ist den verschiedenen Ausprägungen von musikalischen Tableaus das
bereits erwähnte Moment der Statik. Harmonisch funktionslos gegeneinander
verschobene Akkorde, Melodiemodelle, die den Leitton vermeiden – nach Adorno
eine »Pseudomorphose an Malerei« – prägen die Filmmusik in einer solchen
Kameraeinstellung; sie enthält in der Regel keinerlei strebsame musikalische
Entwicklung – ähnlich den Werken Debussys – und verweilt wie das Filmbild in sich
selbst.
Kameraeffekte: Extreme Kameraeffekte wie Fahrt aus der Schärfe in die Weite, Zeitlupe oder extrem kurze Brennweiten sowie Über- oder Mehrfachbelichtung zielen meist darauf, die »normale Wahrnehmung« des Zuschauers zu irritieren und damit eine Art »Entwirklichung« der Realität zu suggerieren – ein häufig angewandtes Mittel bei der filmischen Illustration von Träumen, Visionen oder Halluzinationen. Eine musikalisch analoge Technik ist hier der Kontrapunkt in der Musik, durch den z.B. mehrere Themen gegenübergestellt werden. Damit ihre Heterogenität ohrenfällig wird, bedient sich die Filmmusik gerne bitonaler Strukturen wie sie in der frühen Phase der Neuen Musik vor allem von Strawinsky häufig verwendet wurde. Da Tonalität prinzipiell für »das Normale« gehalten wurde, ermuntern neue Klangstrukturen dazu, die Verstörungen der Tonalität zu einer Stilfigur von Wahnwelten umzumünzen. So wird die Wahl bestimmter Klangfarben, z.B. Geräuschbänder und flimmernde Klangfelder, die an Ligeti oder Penderecki erinnern, insbesondere bei extremen Kameraeffekten zum Auslöser für die Suggestion von Realitätsverlust. Halb-, Nah- und Großaufnahmen: Überwiegen diese besonders unter dem Einsatz von Musik innerhalb der Segmente, so soll der Zuschauer einbezogen werden. Nach Hickethier verliert dieser bei der überwiegenden Verwendung kleiner Einstellungsgrößen die Distanz zu Personen und Handlungen und fühlt sich in |