- 53 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Filmhandlung möglichst synchron anpaßt – ein großflächiger musikalischer Teppich entsteht.28
28 Maas 1994, S. 41.
Underscoring in seiner extremsten Form ist das sogenannte mickey-mousing, benannt nach Disneys Kreatur, die mit Steamboat Willie 1928 zum ersten Tontrickfilm-Star wurde. Sie wird üblicherweise im Rahmen des Underscoring angewandt. Hierbei imitiert die Musik die visuellen Ereignisse in Bewegung und Rhythmus. Die Analogien zwischen Bewegungsvorgängen und deren Musikalisierung sind weitgehend konventionalisiert: Bewegungen in der Vertikalen, beispielsweise ein Sprung in Wasser, werden musikalisch im Parameter Tonhöhe umgesetzt. Horizontale Abläufe, z.B. eine fahrende Eisenbahn, finden ihre musikalische Entsprechung im Rhythmus. Das Aufeinandertreffen von Objekten wie Degen im Duell oder einschlagende Kugeln im Gemäuer werden durch Akzente oder »Orchesterschläge« umgesetzt.29
29 Maas 1994, S. 42.
Während diese Technik im Stummfilm aufgrund der fehlenden Geräusche als berechtigt angesehen wurde, ist der Begriff im Tonfilm in Verruf gekommen. Das mickey-mousing verknüpft die Bewegungsdarstellungen meist mit gleichzeitiger Charakterisierung und läßt die Bewegungen oft heroisch, tragisch, meist jedoch lächerlich erscheinen. Schneider hält diese Technik daher lediglich in der Komödie für gerechtfertigt und im Falle einer Filmmusik, die einer bestimmten Figur im Film zugeordnet sein soll. Hier sei es sinnvoll, einige Bewegungspunkte dieser Person im Sinne von Synchronpunkten mit Musikakzenten zusammenzulegen. Skeptisch verhält sich auch Motte-Haber dieser Technik gegenüber. Die Gefahr liegt für sie in der Tatsache, daß sich die Musik nur noch absolut synchron aber nicht mehr analog zum Bild verhält. Dadurch bekommt der Gesamtkomplex etwas Künstliches: die Realität, wenn auch nur die fiktive im Bild, wird zum willfährigen Komplizen musikalischer Abläufe. Hier scheint einstweilen die realistische Kinokonzeption in jenes Genre abzuweichen, aus dem sie kam: in den Zeichentrickfilm oder den experimentellen Film. Im Spielfilm ist das mickey-mousing daher bevorzugt in solche Sequenzen abgewandert, in denen das »Ballett der Objekte« durch die Fabel gerechtfertigt ist.30
30 Motte-Haber/Emons 1980, S. 119–120.
Meist wird es dort zu parodistischen Zwecken eingesetzt. Bazelon hingegen betont entgegen den Vorurteilen jene Zeit der zwanziger Jahre, in denen das mickey-mousing entstand: »It is easy today to take a pejorative attitude toward the technique of Mickeymousing, but one must think of the practice in terms of its time. In those days nobody really understood anything about film music, and the filmmakers themselves were often as musically naive as their audience.«31
31 Irwin Bazelon: Knowing the Score. Notes on Film Music. New York 1975, S. 25.
Auch Cohen verteidigt diese Technik gegen Vorurteile; er setzt der vermeintlichen Banalität des mickey-mousing ein besseres Verständnis des Soundtrack durch irreguläre Bewegungsimitation entgegen.32
32 Annabel J. Cohen: »Understanding Musical Soundtracks.« Empirical Studies of the Arts 8 (1990) 116.

Das Zitat: Die Arbeit mit musikalischem Material, das aus anderen Kunstformen entnommen und zur Filmmusik umgewandelt wird, ganz gleich ob in Anlehnung an einen Stil oder als originales Gesamt-, Fragment- oder Stilzitat. Sie impliziert jedoch die Problematik, daß Zitate als solche mit den ihnen eigenen Bedeutungen erkannt werden müssen, wenn sie zum Sinnzusammenhang des Films


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