- 49 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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fanden. Auch heute greift man – jedoch meist im parodistischen Sinne – manches Mal auf sie zurück. Hinter den Techniken stand vor allem der Wunsch, die Beziehung zwischen Bildebene und Musik sinnvoll und möglichst effektiv zu gestalten, jedoch auch die Notwendigkeit, rationell zu arbeiten.12
12 Maas 1994, S. 40.

Die Leitmotivtechnik: Eine beliebte Technik des Films und ein sehr altes Verfahren, das seinen Ursprung bereits in der Stummfilmzeit hat. In der Filmmusik meint Leitmotiv ein kurzes prägnantes musikalisches Gebilde, an das zunächst lediglich der Anspruch gestellt ist, leicht und schnell als Bedeutungsträger identifizierbar, also erinnerbar zu sein. Dadurch ermöglicht es Interpretationen auf der Handlungsebene, deren Informationen sich ausschließlich an den Zuschauer wenden. Das Leitmotiv vermittelt diesem ein zusätzliches Wissen, das oft die Form der vorauslaufenden Information gegenüber den handelnden Personen verkörpert. So spielt es die Rolle einer zwischengeschalteten dritten Person. Adorno und Eisler fassen die Leitmotivtechnik unter die Liste der »Vorurteile und schlechten Gewohnheiten«; Filmmusik werde durch Leitmotive regelrecht »zusammengekleistert«, was dem Komponisten lediglich die Arbeit erleichtert, da er zitieren kann, wo er sonst erfinden müßte – für sie eine Art »Armutszeugnis« für den Komponisten. Der Terminus knüpft an Richard Wagners musikalische Konzeption an. Seine Leitmotive fungierten bereits als eine Art »trademarks«, an denen man Figuren und Symbole wiedererkennen konnte. Sie waren für Adorno/Eisler schon immer das »gröbste Mittel der Verdeutlichung, der rote Faden für musikalisch nicht Vorgebildete.«13

13 Adorno/Eisler 1976, S. 15.

Beide Autoren halten den Wiedererkennungswert von Leitmotiven im Film um der Faßlichkeit willen für illusionär, da das musikalische Material den Film überfordert. Der Bausteincharakter des Leitmotivs, seine Prägnanz und Kürze, steht von vornherein im Gegensatz zu der großen musikalischen Form der riesigen Musikdramen Wagners, in der es sich entfaltete. Dieses Verhältnis ist nach Ansicht der beiden Autoren im Film vollkommen aufgehoben, denn der Film ist Montagetechnik. Er verlangt nach Unterbrechungen des musikalischen Materials, nicht Kontinuität. So lassen auch kürzere musikalische Formen im Film keinen Platz für eine Leitmotivtechnik, die sich entfalten kann. Zudem sei das Wagnersche Leitmotiv untrennbar verbunden mit der Vorstellung vom symbolischen Wesen des Musikdramas. Nach Adorno/Eisler soll es nicht einfach Personen, Emotionen oder Dinge charakterisieren, sondern es soll »im Sinn der eigentlichen Wagnerschen Konzeption die szenischen Vorgänge in die Sphäre des metaphysisch Bedeutenden erheben.« Nur um solcher Symbolik willen seien Leitmotive erfunden worden. Im Film, der sich die Abbildung der Realität vorsetze, ist für solche Symbolik kein Raum mehr. Kloppenburg hält die Kritik der beiden Autoren, das Leitmotiv sei im Film ungerechtfertigterweise aus seinem historischen Bedingungsgefüge herausgerissen, für unangebracht. Im Film werde das Leitmotiv nie zum Sinngeber des Produktions- und Wirkungszusammenhangs eines Filmwerkes, sondern dient lediglich als Vehikel der Verständigung zwischen Komponist und Zuschauer über den Film.14

14 Kloppenburg 1986, S. 34.
Die Tatsache, daß Adorno und Eisler sich von der rein technischen Funktion der Leitmotivtechnik distanzieren und die symbolische Bedeutung des Leitmotivs als Rechtfertigung

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