- 47 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (46)Nächste Seite (48) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Der Fremdton: Hierzu gehören nach Pauli jene akustischen Ereignisse, deren Herkunft weder mittelbar noch unmittelbar von den visuellen Ereignissen ausgewiesen wird. Dazu zählen die Sprache als Kommentar, in der sich ein anonymer nicht sichtbarer Erzähler reflektierend oder informierend zwischen Film und Filmbetrachter schiebt, und die Musik als Begleitmusik. Im Gegensatz zum Kommentar wird nach Gorbman die Musik nicht als störend empfunden. Musik bildet als Fremdton die vermittelnde Ebene zwischen Film und Zuschauer. Fremdtöne sind also akustische Ereignisse, von denen der Zuschauer annimmt, daß die im Film handelnden Personen sie nicht wahrnehmen können, die in ihrer Funktion und Wirkung lediglich auf den Zuschauer zielen. Sie sind nicht Bestandteil der Filmrealität. Schneider bezeichnet den Fremdton als »Musik im off«. Sie erweitert die bereits oben dargestellten Raumvorstellungen insofern, als daß sie den Filmfiguren zusätzliche »psychische« Innenräume verleiht – etwas, was, so Schneider, der Bildton nicht leisten kann.

Paulis generelle Unterscheidung ist methodisch ebenso hilfreich wie problematisch, denn sie hat keinen Rückhalt in der Produktionstechnik des Films. Im Spielfilm der Tonfilm-Ära werden sowohl Bild- als auch Fremdtöne fast ausnahmslos im Studio, »künstlich« hergestellt. Wenn beispielsweise in Blake Edwards’ Frühstück bei Tiffany (1960) Hollys Serenade auf der Feuertreppe von einem üppigen Streicherchor weitergeführt wird, ergibt sich eine gewisse Austauschbarkeit von Bild- und Fremdton. Hier setzt allerdings Schneiders Theorie an, denn er sieht im Wechsel von Bild- und Fremdton eine Ausweitung des filmischen Raumes. Für Gorbman ist dies ein Hinweis darauf, daß die Musik das Bild von der Realität zu lösen vermag, auf deren Abbildung es ursprünglich angelegt wurde. Schneider nennt folgende Kombinationsmöglichkeiten von Bild- und Fremdton:

  • Fremdton ==> Bildton: Eine Musik wird dem Betrachter präsentiert, die er zunächst nicht lokalisieren kann bis die Quelle doch noch sichtbar wird. Der Betrachter hat erst eine Vorstellung der musikalisch undefinierten Weite, dann die des konkreten, bildangepaßten Raumes; der zunächst weite Imaginationsraum wird eingeschränkt.
  • Bildton ==> Fremdton: Eine Musik, die zuvor als konkrete lokale Atmosphäre zu hören ist, wird dadurch, daß sie zum Fremdton wird, beispielsweise zu einer stimmungshaften Erinnerung und färbt die folgenden Bilder und die Handlung emotional weitaus intensiver ein als zuvor.
  • Fremdton ==> Bildton ==> Fremdton: Der Zuschauer hört zunächst Musik aus dem off, die nicht zu lokalisieren ist. Durch die Kamerafahrt wird die Klangquelle erfaßt und das akustische Bild optisch erklärt, die Raumvorstellungen reduzieren sich. Doch wenn die Kamera sich wieder von der Klangquelle abwendet und beispielsweise eine Person zentriert, desto mehr geht der Bildton wieder in den Fremdton über. Meistens treten in einem solchen Moment zu den einzelnen Klängen der Musikquelle im Bild weitere Instrumente hinzu, so daß der Bildton im Grunde Auslöser für die anschließend einsetzende Filmmusik aus dem off ist.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (46)Nächste Seite (48) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 47 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik