- 46 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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ist im Bild enthalten und in den Handlungsverlauf integriert. Dazu gehören zum einen die Sprache als direkte Rede, da die Sprechenden im Bild sichtbar sind, oder aber ihre Anwesenheit geht aus der Szene hervor. In diesem Fall sind sie nur mittelbar ausgewiesen; zum anderen gehören zu der Ebene des Bildtones auch Geräusche, die mit den visuellen Vorgängen in Zusammenhang stehen, und natürlich die Musik. Ihre Schallquellen, beispielsweise Orchester, einzelne Instrumentalisten oder ein Plattenspieler, sind im Bild sichtbar, oder ihre Anwesenheit geht mittelbar aus der Szene hervor. Bildtöne sind also jene akustischen Ereignisse, von denen der Zuschauer annimmt, daß auch die im Film handelnden Personen sie wahrnehmen können. Sie sind Bestandteil jener Realität, die jeder Film für sich aufzubauen versucht.5
5 Pauli 1981a, S. 11–12.
In diesem Zusammenhang verwendet Pauli auch Hans Erdmanns Begriff der »Incidenz«: »Mit Blick auf die Musik, die an den Bildern direkt angreift – sei es an dem, was sie an visuellen Hinweisen auf Ort und Zeit der Handlung, auf Schauplatz oder sozialen Anlaß enthalten, sei es an den Gelegenheiten, die die Fabel in Form von Aufmärschen, Paraden, Tänzen, Konzertdarbietungen zuträgt –, spricht er von »Incidenz« (und verrät mit der verbalen Reverenz an die Musikepisoden oder Episodenmusiken im Sprechtheater wie seinerzeit schon die »Edison-Kinetogram« – Autoren mit ihrer »incidental music« [Begleitmusik], daß sich die Filmmusik der Bühnenmusik noch immer verpflichtet fühlt.)«6
6 Pauli 1981b, S. 192.

Kracauer verwendet hier den Begriff der »aktuellen Musik«. Er meint Musik in actu, nach Lissa »in ihrer natürlichen Rolle«. Die Musik liefert die Illusion einer dem Bild adäquaten akustischen Ebene, »wobei die Klangquelle entweder gezeigt oder doch assoziiert werden kann.«7

7 Lissa 1965, S. 163.
Die »Musik im Bild« hat für Lissa eine »doppelte Daseinsform«: zum einen ist sie real erklingende Musik im Bild, aber zugleich auch die »dargestellte Musik«, da sie als dem Bildgeschehen zugehörig ein Teil der dargestellten fiktiven Welt ist. Dadurch bewirkt sie beim Zuschauer das Gefühl der Zeitspaltung, da sie nicht nur die im Kinosaal gehörte Musik repräsentiert, sondern auch die Musik im Bild, das jedoch einer anderen Zeit angehört. Gorbman nenn sie auch »diegetic music«8
8 Claudia Gorbman: Unheard Melodies. Narrative Film Music. London 1987, S. 3.
[erzählende, erörternde Musik], Evans und Atkins bezeichnen sie als »Source Music« [»Quellenmusik«]; nach Atkins wird sie entweder durch einen Akteur im Bild ausgeführt oder sie ist Teil eines Milieus, in dem sich der jeweilige Protagonist befindet. Ferner typisiert sie Source Music nach Konzertmusik, i.e. »klassische« Musik und nach nicht-konzertanter Musik, z.B. religiöse Musik, Militärmusik, Jazz oder Volksmusik.9
9 Irene Kahn Atkins: Source Music in Motion Pictures. London/Toronto 1983, S. 21/26–27.
Schneider verwendet für die Musik im Bild den Begriff »Musik im on«. Damit deutet er eine gewisse Räumlichkeit an, die nur für den Zuschauer durch das Zusammenspiel von Bild- und Toneindrücken entsteht und Ort seiner Imaginationen sind. Diese Räume entspringen einzig und allein der Phantasie des Zuschauers. Musik im on charakterisiert diesen Raum insofern, als daß sie zunächst die Leere zwischen Leinwand und Betrachter im Sinne einer dritten Dimension demonstriert. Darüber hinaus ruft sie im Zuschauer eine Raumvorstellung über die konkrete Atmosphäre des Dargestellten hervor.

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