- 447 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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16.  Zusammenfassung

Allgemein betrachtet ist die Argumentation innerhalb der von Schmidt aufgestellten These durchaus auf alle genannten Filme anwendbar. Dabei hat sich ebenso durchgängig der erste Teil der These bestätigt, nach dem autonome Musik kraft des ihr immanenten Kontextes in die filmische Dramaturgie einzugreifen vermag - und dies meist auf mehreren Funktionsebenen gleichzeitig. Dabei reicht sie von der bereits zitierten »Redseligkeit« (Tod in Venedig, Uhrwerk Orange, Der Tod und das Mädchen) bis hin zur absoluten »Lakonie« (Auf Wiedersehen, Kinder). Die Semantisierung des Films verwirklicht sie zum einen durch ihren eigenen musikalischen Ausdruck und ihre Form, zum anderen durch ihren entstehungsgeschichtlichen wie musikästhetischen Kontext. Autonome Musik ist ihrer Semantik zufolge ein »sprechender Part« im Drehbuch. Als solcher ist sie ein aktiver Faktor im Kommunikationssystem Film. Die Frage der semantischen Neubesetzung des Zitats durch die filmische Dramaturgie läßt sich jedoch nicht so homogen beantworten, sondern erfordert vielmehr eine fallgerechte Differenzierung.

In Andrzej Wajdas Asche und Diamant fügt sich der Chopinsche Nationalismus nahtlos in Wajdas filmisches Programm ein. Die »Idee von Polen« geht bei ihm jedoch einher mit der spezifisch romantischen Ironie respektive der bitteren Skepsis gegenüber dem Heldentum. Damit schafft der Regisseur den Bezug zur aktuellen Situation Polens. Dementsprechend besetzt er das Chopinsche Zitat analog zur These mit dem unseligen Moment des nationalen Traumas. In Polanskis Rosemaries Baby verhält es sich ein wenig anders: Beethovens Für Elise vermag zwar als ausgewiesenes Salonstück im Sinne des sozialen Indexes eine bürgerliche – wenn auch trügerische – Normalität zu vermitteln, in die das »Außerirdische« in Gestalt des Teufels einbricht, doch scheitert der Film bei der Frage nach einer Neusemantisierung. Durch seine eigene Rezeptionsgeschichte erweist sich das Stück Für Elise bereits vorher als obsoletes, gesunkenes Kulturgut, das Polanski lediglich aufgreift. Das Stück vereitelt jedoch von sich aus eine semantische Neubesetzung. In den Filmen von Louis Malle bleibt ebenso eine prägende Neubesetzung der Zitate aus. Dies ist jedoch weniger durch die Rezeptionsgeschichte der zitierten Stücke als vielmehr durch Malles filmisches Programm bedingt. Als Vertreter des humanen Kinos pflegt er einen objektiven, distanzierten Filmstil, der seine Themen stets ambivalent und seine Charaktere authentisch und psychologisch äußerst subtil nachzeichnet. Damit nähert er sich sogar der dokumentarischen Inszenierung. Sowohl in Lacombe, Lucien, Atlantic City, U.S.A als auch in seinem biographisch geprägten Film Auf Wiedersehen, Kinder stellt er mit Hilfe der Musik soziale, kulturelle oder filmästhetisch formale Motive dar, er enthält sich jedoch einer ultimativen Beurteilung. Daran zeigt sich, wie sehr das dramaturgisch urteilende »Fallbeil« des Regisseurs


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