16. Zusammenfassung
Allgemein betrachtet ist die Argumentation innerhalb der von Schmidt aufgestellten
These durchaus auf alle genannten Filme anwendbar. Dabei hat sich ebenso durchgängig
der erste Teil der These bestätigt, nach dem autonome Musik kraft des ihr immanenten
Kontextes in die filmische Dramaturgie einzugreifen vermag - und dies meist auf
mehreren Funktionsebenen gleichzeitig. Dabei reicht sie von der bereits zitierten
»Redseligkeit« (Tod in Venedig, Uhrwerk Orange, Der Tod und das Mädchen) bis hin zur
absoluten »Lakonie« (Auf Wiedersehen, Kinder). Die Semantisierung des Films
verwirklicht sie zum einen durch ihren eigenen musikalischen Ausdruck und ihre Form,
zum anderen durch ihren entstehungsgeschichtlichen wie musikästhetischen Kontext.
Autonome Musik ist ihrer Semantik zufolge ein »sprechender Part« im Drehbuch. Als
solcher ist sie ein aktiver Faktor im Kommunikationssystem Film. Die Frage der
semantischen Neubesetzung des Zitats durch die filmische Dramaturgie läßt sich jedoch
nicht so homogen beantworten, sondern erfordert vielmehr eine fallgerechte
Differenzierung.
In Andrzej Wajdas Asche und Diamant fügt sich der Chopinsche Nationalismus
nahtlos in Wajdas filmisches Programm ein. Die »Idee von Polen« geht bei ihm jedoch
einher mit der spezifisch romantischen Ironie respektive der bitteren Skepsis gegenüber
dem Heldentum. Damit schafft der Regisseur den Bezug zur aktuellen Situation Polens.
Dementsprechend besetzt er das Chopinsche Zitat analog zur These mit dem unseligen
Moment des nationalen Traumas. In Polanskis Rosemaries Baby verhält es
sich ein wenig anders: Beethovens Für Elise vermag zwar als ausgewiesenes
Salonstück im Sinne des sozialen Indexes eine bürgerliche – wenn auch trügerische –
Normalität zu vermitteln, in die das »Außerirdische« in Gestalt des Teufels
einbricht, doch scheitert der Film bei der Frage nach einer Neusemantisierung.
Durch seine eigene Rezeptionsgeschichte erweist sich das Stück Für Elise bereits
vorher als obsoletes, gesunkenes Kulturgut, das Polanski lediglich aufgreift. Das
Stück vereitelt jedoch von sich aus eine semantische Neubesetzung. In den
Filmen von Louis Malle bleibt ebenso eine prägende Neubesetzung der Zitate aus.
Dies ist jedoch weniger durch die Rezeptionsgeschichte der zitierten Stücke als
vielmehr durch Malles filmisches Programm bedingt. Als Vertreter des humanen
Kinos pflegt er einen objektiven, distanzierten Filmstil, der seine Themen stets
ambivalent und seine Charaktere authentisch und psychologisch äußerst subtil
nachzeichnet. Damit nähert er sich sogar der dokumentarischen Inszenierung.
Sowohl in Lacombe, Lucien, Atlantic City, U.S.A als auch in seinem biographisch
geprägten Film Auf Wiedersehen, Kinder stellt er mit Hilfe der Musik soziale,
kulturelle oder filmästhetisch formale Motive dar, er enthält sich jedoch einer
ultimativen Beurteilung. Daran zeigt sich, wie sehr das dramaturgisch urteilende
»Fallbeil« des Regisseurs
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