- 445 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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»Endsieg« durch eine neuartige Waffe aufkeimen ließ. Dementsprechend wird der »Walkürenritt« den Bildern zugeordnet. Das Stück wird über dem Kommentar langsam eingeblendet. Es erklingt in rein orchestraler Fassung und ist rhythmisch stark beschleunigt. Bezeichnenderweise setzt der »Walkürenritt« sofort mit dem rhythmisch markanten Dreiklangmotiv ein. Die Psychologie dieses Wochenschauausschnitts ist ebenso durchsichtig wie banal. Der Kommentator spricht von »Gründen der Geheimhaltung« und stellt diesen das »wirkliche Größenverhältnis der V2« gegenüber. Da die Aufnahmen die Rakete aus mehr unscheinbarer Entfernung erfassen und lediglich eine unspektakuläre Flugspur am Himmel präsentieren, bedurfte es also umso mehr einer bombastischen akustischen Aufmachung, um die im Grunde wenig aussagekräftigen Bilder im Sinne der Propaganda-Strategie zu kompensieren. Darüber hinaus ist der »Walkürenritt« auf die Länge der Wochenschau hin umkonzipiert und erfährt mit dem Aufleuchten des Reichsadlers einen kompromißlosen Abschluß. Angesichts der allgemeinen Kriegsmüdigkeit der Deutschen dürfte diese Art von nationalsozialistischer »Überzeugungsarbeit« mehr als fraglich gewesen sein. Dennoch: hält man sich vor Augen, daß Hitler ein überzeugter Wagner-Anhänger war, so ist die nationalsozialistische wohl die nachhaltigste und eindeutigste historische Beschriftung Wagnerscher Kompositionen, die es je gegeben hat. Sie ist zu einem haftenden Detail der Wagner-Rezeption geworden. An jedem nachfolgenden Einsatz Wagners im fiktionalen Film oder in Dokumentationen klebt ähnlich wie beim Liszt’schen Heldenmythos das Etikett einer kriegerischen Nazi-Attitüde, die zum Aushängeschild einer Menschenleben verachtenden Kriegsmaschinerie wird und letztlich Tod und Verderben bringt.

Die nationalsozialistische Wochenschau ist freilich nur ein kurzes Beispiel einer präzisen historischen Beschriftung Wagners, jedoch aussagekräftig genug für den machtpolitischen Kontext, der sie umgibt. Aus dieser Perspektive ist es offensichtlich, daß Coppola sich mit dem Einsatz des »Walkürenritts« nicht mehr länger explizit auf den historischen Kontext Wagners bezieht; vielmehr macht er sich dessen nationalsozialistische Beschriftung zu eigen. Auch hier fliegen Kilgore und seine Mannen bis an die Zähne bewaffnet durch die Lüfte, um ein vietnamesisches Dorf »auszuradieren«. Wenn man bedenkt, daß die V2-Rakete im Luftkrieg gegen England eingesetzt wurde, so ist die machtpolitische Motivation bei beiden Einsätzen des »Walkürenritts« offenkundig – nur mit dem Unterschied, daß Coppola sich nicht mehr auf Wotans Töchter am Walkürenfelsen bezieht. Indem er den Hubschrauberangriff mit dem »Walkürenritt« unterlegt, wirft er die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Krieges genauso laut und pompös in den Raum wie die Nationalsozialisten Wagner mehr als vierzig Jahre zuvor zum politischen Programm erhoben haben. Kontinuierlich untergräbt Coppola den Ehren- und Moralkodex amerikanischer Militäreinsätze und spickt ihn mit Attributen einer oberflächlichen und unkritischen Freizeitgesellschaft. So wie die Amerikaner das Dorf wegen seiner hohen Wellengipfel zu Wagners Musik »in die Steinzeit zurückversetzen« (Kilgore), so erscheint auch die Moral angesichts dieses sinnlosen Kriegmordens und des offiziellen politischen Wahnsinns nur noch als groteske Fratze. Auf diese Weise zeichnet Coppola mit Hilfe der Musik das Porträt einer Gesellschaft, die sich in einer tiefen Krise befindet. So erfährt die amerikanische Kultur in den Vietnam-Jahren einen entscheidenden Umbruch. Es ist ein Umbruch, der auch den Offizier Walter E.


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