- 443 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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neben Coppolas Apocalypse Now Charlie Chaplins The Great Dictator/Der große Diktator (USA 1940), in dem Chaplin als Hitler-Karikatur unter Lohengrin-Klängen ein gleichsam verzücktes wie groteskes Balance-Spiel mit einem Weltkugel-Ballon treibt, und John Boormans Artus-Film Excalibur (USA 1981).22
22 Müller 1986, S. 723.

Chaplins Film ist ein vielsagendes Beispiel, denn über Wagners kontinuierlicher Verwendung im Film liegt die dominante historische Beschriftung seiner Person und seiner Musik durch den Nationalsozialismus. Immer wieder wurde der Komponist in der Vergangenheit wie auch heute noch als Idiom des Nationalsozialismus im Film eingesetzt. Müller nennt hier weitere bezeichnende Beispiele wie Das Testament des Dr. Mabuse von Fritz Lang, immerhin erst aus dem Jahre 1932, Claude Chabrols Les Cousins/Schrei, wenn du kannst (Frankreich 1958), Viscontis Caduta degli dei/Die Verdammten (1969) oder Hitler – ein Film aus Deutschland (BR Deutschland 1977) von Hans Jürgen Syberberg. Daneben finden sich zahlreiche Filmbeispiele, in denen Wagners Musik im Sinne von Stilzitaten imitiert wird.23

23 Müller 1986, S. 723–724.

Die politisch-ideologische Wirkung und »Verwendung« Wagners durch die Nationalsozialisten respektive Adolf Hitler ist ein viel diskutiertes und zutiefst komplexes Thema, das den Wagner-Forschern vorbehalten bleiben soll. Insofern wird es hier lediglich angerissen. Einen klaren Überblick bietet hier der gleichlautende Aufsatz von Ernst Hanisch im Wagner-Handbuch:24

24 Ernst Hanisch: »Die politisch-ideologische Wirkung und ›Verwendung‹ Wagners.« In: Müller/ Wapnewski 1986, S. 625–646; vgl. beispielswiese auch Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. München 1999; Annette Hein: »Es ist viel ›Hitler‹ in Wagner«. Rassismus und antisemitische Deutschtumideologie in den Bayreuther Blättern (1878–1938). Tübingen 1996; Jacob Katz: Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus. Königstein/Ts. 1985.

In seinem Bekenntnisbuch Mein Kampf hat Hitler alle Welt wissen lassen, daß Wagner zu seinen wichtigsten Sozialisationserlebnissen zählte. Um 1900 war dieser bereits vollkommen in die deutschnationale Ideologie der Provinzbourgeoisie integriert. In diesem Zusammenhang zieht Hanisch Parallelen zwischen Wagner und Hitler, die für letzteren bedeutsam waren. Zum einen der Zug zum Dilettantischen, den bereits Friedrich Nietzsche und Thomas Mann bei Wagner aufspürten und der bei Hitler überdeutlich war; der Mangel an formaler Ausbildung, der durch außerordentliche Begabung ersetzt wird. Zuletzt wirkte das Bild vom Genie, das sich gegen eine Welt von Feinden durchsetzt und sein Ziel erreicht. Für Hitler war das »heldenhafte Volkstum, das Deutschtum« das Entscheidende seines Wagnerschen Werkverständnisses. Zudem sah er den nationalsozialistischen Antisemitismus durch Wagner bestätigt. Es war Winifred Wagner, die Frau von Richard Wagners Sohn Siegfried, die Bayreuth mit dem Nationalsozialismus zusammengebracht hatte. Sie gehörte, so Hanisch, zu Hitlers »Paradefrauen«. Bayreuth machte Hitler bürgerlich respektabel. Damit erfüllte sich der von vielen lang gehegte Wunsch, daß Macht und Kunst zusammenfinden. Seit den Bayreuther Festspielen im Jahre 1933 galt, daß Wagner und der Nationalsozialismus untrennbar zusammengehörten. Wagner wurde vollkommen in die nationalsozialistische politische Liturgie integriert. An nahezu allen deutschen Bühnen spielte man Lohengrin oder Meistersinger.


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