- 439 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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einen Kavalleriehut aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges trägt, läßt im Morgengrauen zum Zeichen des Angriffs die Trompete blasen. Die Hubschrauber starten zu den ebenso aufsteigenden, ineinander verschwimmenden Klängen des Synthesizers, welche die Fluggeräusche befremdlich stilisieren. Im Soundtrack sind sie als »Orange Light« ausgewiesen – der Angriff erfolgt aus der aufgehenden Sonne. Kilgores Hubschrauber ist mit Tonbandmaschine, Verstärker und Lautsprechern ausgerüstet. Noch während er mit Lance über die Vor- und Nachteile schwerer oder leichter Surfbretter debattiert, erteilt er den Befehl zur Angriffsformation. Lance erklärt er seine »psychologische Kriegführung«: »Wir kommen im Tiefflug aus der aufgehenden Sonne und stellen aus ungefähr 1500 Meter Entfernung Musik an. [. . . ] Ich nehme Wagner, das erschreckt die Schlitzaugen unheimlich. . . Meine Jungs sind begeistert.« Auf die Ankündigung Kilgores folgt der »Foxtrott der Liebe«, seine »Aufforderung zum Tanz« an seine Truppe. Die Tonbandspulen beginnen sich zu drehen, doch mit Erklingen der rasenden Sechzehntelfiguren der Streicher und Bläser lenkt Coppola die Aufmerksamkeit des Zuschauers sogleich von der »banalen« Quelle eines kleinen Tonbandgerätes hin auf den großangelegten dramaturgischen Rahmen: in drei schnell aufeinanderfolgenden Zooms erscheinen die im Vergleich zu dem Tonbandgerät überdimensionalen Abwehrraketen der Hubschrauber im Bild, während sich das Thema der »ankommenden Walküren« ankündigt. Dieses beherrscht die gesamte Szene (vgl. Abbildung 15.1).15
15 Richard Wagner: Die Walküre, hrsg. von Ernst Eulenburg. London o. J., S. 623–624.



Abbildung 15.1: R. Wagner: Die Walküre, »Walkürenritt«


Während Wagner anhand dieses im Grunde recht einfachen zerlegten Dreiklangmotiv einen gigantischen Ritt, ein rasendes Dahinjagen auf Flügelpferden entfesselt, eröffnet Coppola das pompöse Inferno des Hubschrauberangriffes. Es sind nicht länger die Walküren, die aus verschiedenen Kämpfen und Schlachten kommend nach Walhall, in die Götterburg, zurückkehren. Die Luft »erzittert« nun vom monotonen Getöse amerikanischer Hubschrauber, das sich mit den monströsen Klängen der Hörner vermischt. Coppola gestaltet die Montage der Angriffsformation zu einem faszinierenden wie zynischen Spektakel, dessen übermächtiger Wirkung man sich kaum entziehen kann. Die Macht der musikalischen Bilder wird offenbar, als die Musik mit dem Schnitt auf das ruhige friedliche Dorfleben zunächst unvermittelt abbricht. Coppola überführt den Zuschauer, sich der Wirkung der Bilder hingegeben zu haben. Doch mit den herannahenden Aggressoren ist es mit der Ruhe vorbei. Kinder und Frauen bringen sich in Sicherheit. Was nun folgt, ist ein »filmisches Opernspektakel«, in dem Coppola dem Zuschauer in nahezu siebzig rasch aufeinanderfolgenden »fliegenden« Einstellungen die blinde Zerstörungswut im Mantel eines titanischen Nibelungen-Pathos präsentiert. Funkensprühende Granatgeschosse und ratternde Maschinengewehre in der Luft, flammendes Inferno, Nebel, Rauch und flüchtende Menschen am Boden – eine apokalyptische Sinfonie der Verwüstung, faszinierend und erschreckend zugleich. Was Kilgore mit Wagners »Walkürenritt« zunächst so eindringlich zelebriert – die vermeintliche Allmacht der Amerikaner gegenüber der asiatischen Kultur (sein Kommentar: »Gibt dieses Pack nie auf?!«), wird in den nächsten Einstellungen realistisch entschleiert: amerikanische Soldaten liegen blutüberströmt und schreiend am Boden, der Rettungshubschrauber wird von einer Vietnamesin mit einer Handgranate in die Luft gesprengt. Bezeichnenderweise wird die Musik an dieser Stelle ausgeblendet. Doch


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