- 438 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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voraus.10
10 Reinecke 1993, S. 10.
Dieser Satz zählt längst zu den wohl meistzitierten filmtheoretischen Proklamationen. Er ist die prägnante Formel für Kracauers Ansatz, der, so Adorno in seinem Nachruf auf den Schriftsteller und Kritiker, »die Filmkritik in Deutschland überhaupt erst aufs Niveau gebracht hat, indem er den Film als Chiffre gesellschaftlicher Tendenzen, von Gedankenkontrolle und ideologischer Beherrschung, las.«11
11 Theodor W. Adorno, zit. n. Reinecke 1993, S. 10.
Eine ideologiekritische Filmanalyse, so Reinecke, ist demzufolge Entzifferungsarbeit, die dem Ziel verpflichtet ist, die verborgenen Ängste und Hoffnungen, die auf den Leinwänden zum Vorschein kommen, herauszupräparieren: »Die ideologiekritische Methode fußt somit auf der Erkenntnis, daß Filme nicht allein immanent zu entschlüsseln sind, sondern daß es der Einbettung in soziale, historische und ästhetische Kontexte bedarf.«12
12 Reinecke 1993, S. 11.

Apocalypse Now ist Coppola zufolge eine Reise, bei der es um eine »geistige Vorstellung« von Vietnam geht. Sein Film sei keine realistische Geschichte, er richte sich vielmehr an die Emotionen des Zuschauers. Es ist die Strategie des Films, den Zuschauer an die Hand zu nehmen, um ihn letztlich zur Perspektive des Films zu verführen.13

13 Peter W. Jansen: »Kommentierte Filmografie.« In: Peter W. Jansen/Wolfram Schütte (Hrsg.): Francis Ford Coppola. Reihe Film 33. München 1985, S. 136.
Wie bei Kubrick gehört zur Strategie der Emotionalisierung auch bei Coppola die Musik. Durch sie garantiert er den obengenannten sozialen, historischen und ästhetischen Kontext. Die Musik vermag jene psychologischen »Bewußtseinsdimensionen« amerikanischer Zuschauer widerzuspiegeln. So eröffnet Coppola den Film mit dem Song »This is the end, beautiful friend, the end« der Rockgruppe The Doors. Mit Dale Hawkins, Stanley Lewis und Eleanor Broadwater (»Susie Q«) durchpulst der Beat den Film. Lance nennt eine Nebelgranate »purple haze« und spielt damit ebenso auf Jimi Hendrix an wie Clean, der um seine Afrofrisur ein rotes Stirnband bindet. Hinzu kommen die vielen Hinweise auf Drogen – Lance, Chef und Clean rauchen unentwegt Marihuana, Lance wirft sich an der Do Lung-Brücke Acid rein und findet den mörderischen Feuerüberfall »beautiful«, der Fotograf ist ständig high. Insofern, so Christopher Sharrett, ist diese Reise auch ein Trip, »eine Reise durch die amerikanische Kultur.«14
14 Jansen 1985, S. 142.
Einen Gegensatz dazu bilden die zahlreichen an die Avantgarde angelehnten Synthesizerkompositionen von Carmine und Francis Ford Coppola. Mit ihren verwirrenden Klang- und Melodiestrukturen zeichnen sie Willards äußere wie innere Odyssee nach, die sich zunehmend in Konfusion und Selbstzerstörung hineinsteigert. Die Grenzen zwischen Normalität und Horror verschwimmen kontinuierlich. Der verstörende Synthesizersound bildet hierzu das musikalische Pendant.

Coppolas deutlichste Strategie der emotionalen Führung des Zuschauers durch die Musik ist das Zitat des »Walkürenritts«, die Einleitung zum dritten Aufzug der Walküre von Richard Wagner. Nirgendwo im Film porträtiert Coppola die Vernichtungswut der Amerikaner deutlicher als in dieser Szene. Obwohl Colonel Kilgore das vietnamesische Dorf Vin Drin Dop zunächst als »gemeingefährlich« bezeichnet, entschließt er sich dennoch zu einem Angriff, als er hört, daß es dort »phantastische zwei Meter hohe Wellengipfel« gibt – denn »Charlie surft nicht.« Kilgore, der stets


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