pausiert, verkündet Paulina fest entschlossen
»Er ist es!«, Gerardo weiß nicht, von wem sie spricht. Mit dem Beginn des 2.
Themas erhält er die Antwort: »Der Doktor, der Der Tod und das Mädchen
gespielt hat« – rhythmisch gesehen liegt hier eine deutliche Analogie vor, mit der
Polanski auch den weiteren Verlauf des Dialoges zwischen Paulina und Gerardo
sowohl optisch durch die Kameraeinstellungen als auch akustisch durch Text und
Musik strukturiert. Die zahlreichen Modulationen, harmonischen Rückungen
und abrupten Stimmungswechsel des dahinfließenden Seitensatzes entsprechen
der ersten Auseinandersetzung zwischen Paulina und Gerardo zur Identität
Mirandas. Beide sprechen in kurzen Sätzen, das dichte Tempo ihres Dialoges
entspricht dem gedrängten ungleichmäßigen Verlauf der Musik, der vor allem
durch musikalische Akzente, den kontinuierlichen Wechsel zwischen punktierter
Melodie und Sechzehntelläufen, zwischen Forte und Piano garantiert wird.
Die harmonische Odyssee paraphrasiert darüber hinaus das Wechselbad der
Gefühle: Paulina, fest entschlossen, mal aufgewühlt, dann wieder stoisch und
unerbittlich, Gerardo zunächst ungläubig, dann zu Tode erschreckt, als Paulina einen
Warnschuß abfeuert. Der groß angelegten szenischen Dichte entsprechen auch die
Kameraeinstellungen, die im Wechsel von Großaufnahmen und Totaler immer
rascher aufeinanderfolgen. Doch sind visuelle und auditive Ebene nicht nur
strukturell miteinander verwoben. Paulinas Worte deuten darauf hin, daß die
Rollenverteilung zwischen ihr und Miranda in der Vergangenheit eine andere gewesen
sein muß. Mit haßerfülltem sarkastischen Unterton nennt Paulina den Arzt
ihren »Engel der Barmherzigkeit« – ein Hinweis auf die Todesvorstellung des
Claudius-Liedes vom Tod als dem sanften Boten aus der Götterwelt, der das
Mädchen in tiefernster Trostgebärde in seinen Armen wiegt. Insofern greift
an dieser Stelle neben der syntaktischen auch die semantische Dimension des
Schubert-Zitates. Mit der Vorstellung des »barmherzigen Engels«, der »dem Miststück
noch fünf Volt gibt«, pervertiert Polanski jedoch noch im selben Moment mit
rhetorischer Brillanz jenes von Claudius suggerierte Todesbild. Die fast schon
unschuldig anmutende Vorstellung vom sanften Samariter erhält unweigerlich einen
tiefen Sprung, der die unmenschlichen Abgründe in Paulinas Seele und damit
auch in ihrer Vergangenheit erahnen läßt. Der kontinuierliche Wechsel von
Spannung und Entspannung in der Musik zeigt sich wiederum in einer der nächsten
Einstellungen: mit ultimativer Sicherheit weist Paulina auf Mirandas Geruch als eine
Art Erkennungsmarke hin, während die Melodie im Hintergrund wie in einem
angespannten Perpetuum Mobile in sich selbst kreist. Der daraufhin so unbeschwert
wirkende Dur-Charakter der Musik ist genauso trügerisch – das akzentuierte
Unisono (Takt 112 bis 113) unterbricht die so unbekümmert fließende Melodie mit
insistierender Hartnäckigkeit und suggeriert erneut die latent stets vorhandene
Todessymbolik.
Mit der Durchführung (ab Takt 141) der beiden Themen wird nicht nur Schuberts Satztechnik komplex, auch die dramaturgische Handlung tritt in eine komplexe Phase. Damit enthüllt die Musik mehr denn je ihre syntaktische Funktion innerhalb der Dramaturgie, denn kompositorische und dramaturgische Struktur verhalten sich – wie auch die Gesamtanlage des Dramas – analog zueinander. Dies zeigt, wie sehr der gesamte Film durch die Musik beherrscht wird. Mit der Exposition des ersten Satzes wurden die beiden Themen, dramaturgisch gesehen die beiden Positionen vorgestellt, die auf »Schuldig« (Paulina) und »Nicht-Schuldig« (Gerardo) |