- 410 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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des Jahres 1824 befindet sich Schubert aufgrund seiner schlechten Gesundheit in niedergedrückter Stimmung. So war diese letzte Lebensperiode gekennzeichnet durch mehrere Krankheitsschübe, in denen er zunehmend von Depressionen heimgesucht wurde. In dem vielzitierten Brief an seinen Freund Leopold Kupelwieser von März 1824 schreibt er: »Mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, u. der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe u. Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz, dem Begeisterung [...] für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? – »Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmer mehr«, so kann ich wohl alle Tage singen, denn jede Nacht wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen, u. jeder Morgen kündet mir nun den gestrigen Gram.«30
30 Schubert 31. März 1824, zit. n. Franz Schubert: Die Dokumente seines Lebens. Gesammelt und erläutert von Otto Erich Deutsch (= Franz Schubert. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie VIII: Supplement, Bd. 5). Leipzig 1964, S. 234.

Aus einer solchen Stimmung heraus scheint die Wahl des Liedes Der Tod und das Mädchen als thematisch-expressive Vorlage für das Quartett verständlich. Auch die »tragische« Tonart d-Moll und die Tatsache, daß alle Sätze in Moll stehen, könnten Deutungen dieser Art unterstützen. Doch obwohl Schubert in diesem Jahr, in dem er »nicht mehr zu erwachen hofft«, meist in niedergeschlagener Stimmung war, setzte eine intensive Arbeitsphase ein.31

31 Hilmar 1997, S. 78.
Im selben Brief an Kupelwieser schreibt Schubert: »In Liedern habe ich wenig Neues gemacht, dagegen versuchte ich mich in mehreren Instrumental-Sachen, denn ich componierte 2 Quartetten für Violinen, Viola u. Violoncelle, u. ein Octett, u. will noch ein Quartetto schreiben, überhaupt will ich mir auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen. – Das Neueste in Wien ist, daß Beethoven ein Concert gibt, in welchem er seine neue Sinfonie, 3 Stücke aus der neuen Messe, u. eine neue Ouverture produciren läßt. – Wenn Gott will, so bin auch ich gesonnen, künftiges Jahr ein ähnliches Conzert zu geben.«32
32 Schubert 31. März 1824, zit. n. Deutsch 1964, S. 235.

Mit seinem Plan, ein Konzert geben zu wollen, ist Schuberts Blick demnach vorwärts gerichtet. Wenn er also im Jahre 1824 seine alten Lieder wieder aufgreift, so schließt Raab, »ist dies nicht mehr das morbid-frivole Kokettieren mit der Todessehnsucht wie in jungen Jahren, sondern die Beschäftigung mit den letzten Dingen hat nun, nach seiner (halb überstandenen) Krankheit, einen weit ernsteren, geistigen Hintergrund.«33

33 Raab 1997, S. 180.
Zwar präsentieren seine Briefe und Tagebucheintragungen ihn als einen ernsten, leidgeprüften Menschen, doch geht es Schubert um mehr als psychische Befindlichkeiten. Jene Aussagen demonstrieren, daß er sich verstandesmäßig der Form der Sinfonie nähern möchte - und dies bedeutet Lernen anhand von Streichquartetten, die von Klassikern wie Haydn zum absoluten Prüfstein für jede Komposition erhoben wurden.

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