- 409 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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bringt sie mehr Spannung, denn sie löst sich früher oder später wieder leittönig in den Moll-Grundakkord auf und bezeichnet so oft eine enttäuschte Hoffnung.22
22 Dittrich 1997, S. 202.
Seltsamerweise steht der zweite Satz, der die meiste Ähnlichkeit mit dem Lied hat, in g-Moll. Aus dem Lied übernimmt Schubert das Vorspiel sowie die versöhnliche Antwort des Todes. Neben dem zweiten Satz weisen alle übrigen Sätze zahlreiche andere Gemeinsamkeiten auf. Diese aufzuführen, würde hier jedoch zu weit führen. Da Polanski in seinem Film lediglich den ersten Satz zitiert, sollen sich alle weiteren analytischen Ausführungen darauf beschränken.23
23 Ausführliche Analysen vgl. wieder Wolff 1982, S. 159–169; Raab 1997, S. 168–176; Hans-Joachim Hinrichsen: »›Bergendes Gehäuse‹ und ›Hang ins Unbegrenzte‹. Die Kammermusik.« In: Dürr/Krause 1997, S. 490–493.

Das Streichquartett Der Tod und das Mädchen hat immer wieder die Frage herausgefordert, inwiefern in der Themenwahl des Liedes für den zweiten Satz eine programmatische Absicht hinsichtlich der Todesthematik im gesamten Streichquartett zu sehen ist. Ein Liedzitat, so Dittrich, ist semantisch gesehen alles andere als neutral, die Wandererfantasie Schuberts (D 760) ist ein weiterer berühmter Fall.24

24 Hinrichsen 1997, S. 490.
Viele Autoren beschränken sich darauf, Vergleiche zwischen dem Lied und dem Quartett auf rein musikanalytischer Ebene zu betreiben. Sie stützen sich auf das Aufspüren musikalischer Topoi.25
25 Vgl. Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit. Regensburg 1991, S. 208–209.
Andere hingegen versuchen, die Musik ausschließlich durch biographisch-semantische Details zu erklären.26
26 Vgl. Hans Hollander: »Stil und poetische Idee in Schuberts d-moll-Streichquartett.« Neue Zeitschrift für Musik 131 (1970) 239–241.
Gegen diese sehr subjektive Hermeneutik werden jedoch immer wieder Einwände erhoben. Viele Hypothesen haben zudem vorgeschlagen, daß nicht nur der zweite Variationensatz, sondern das Quartett im ganzen die Todesthematik behandelt. Die poetischen Ideen reichen dabei vom Todestanz bis hin zur Dies irae.27
27 Wolff 1982, S. 164.
Einstein hat bereits darauf hingewiesen, daß Schubert hier keine Programmusik schreibt. Man müsse auch nicht das Lied kennen, und dennoch fühle der Hörer in allen Sätzen unmißverständlich Anzeichen von Unvermeidlichkeit und Trost gleichermaßen.28
28 Alfred Einstein: Schubert. A Musical Portrait. New York 1951, S. 254.
Doch gehört dieser Ansatz ebenso zur eher vagen Sphäre der Hörerpsychologie. Tatsächlich muß man sich fragen, ob die Todesthematik neben der Biographie oder dem reinen Höreindruck auch in der Musik ersichtlich wird und wie Schuberts eigene Aussagen über seine Stimmung mit seiner Musik kompatibel sind. Dieser Frage folgt Raab, indem er möglichst viele Quellen untersucht: das Streichquartett d-Moll, die Variationen des zweiten Satzes, die auf das Lied zurückgreifen sowie Briefe und Tagebucheintragungen Schuberts aus dieser Zeit. Er kommt – auch in Anlehnung an die Ergebnisse von Wolff – zu dem Schluß, daß Schubert bei der Komposition des d-Moll-Quartetts ein quartetto charatterstico vor Augen hatte, eine Art experimenteller Vorläufer zu einer Sinfonie, in dem er nicht nur die Dimensionen eines sinfonischen Formats ausprobierte, sondern auch neue Konzepte der zyklischen Form und ihrer Expressivität entwickelte. Vorlage war dabei die Konfrontation mit dem unabänderlichen Tod.29
29 Raab 1997, S. 185.
Diese Thematik erklärt Raab zunächst mit Hilfe biographischer Details. Zu Beginn

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