Dramaturgie bis in die Charaktere.
Paulina ist von Mirandas Schuld überzeugt, dieser hingegen leugnet alles fest
entschlossen und beteuert zunächst seine Unschuld. Gerardo als Verkörperung des
»Gesetzes« bildet das eher unentschlossene Medium zwischen beiden. Auch wenn
sich der Suspense des Films eher aus der Unsicherheit des Zuschauers aufbaut,
fiebert dieser gemäß dem Thriller trotzdem mit den Figuren. Das »Kino der
Angst« ist deutlich spürbar, in dem alle Figuren ihre Ängste überwinden müssen
– Polanski folgt auch hier dem Prinzip der dramaturgischen Ambivalenz. So
identifiziert man sich mit Paulinas psychologischer Höllenfahrt genauso wie
man Gerardos Zweifel und Mirandas Angst nachvollziehen kann. Das typische
»Miterleben« des Zuschauers verlagert sich je nach Verlauf der dramaturgischen
Konstellation. Auf diese Weise bleibt die Handlung auch für den Zuschauer stets
doppeldeutig, eine sichere Erkenntnis ist bis zum Schluß nicht möglich. Dadurch
entsteht ein Spannungsaufbau, der den Zuschauer stets im Dunkeln tappen läßt
und ihn umso stärker an die Konflikte der Handlung bindet. Insofern erweist
sich der Thriller hier einmal mehr als ein Genre, das nicht von Spezialisten
bedient wird. Sein Interesse an psychologischen Konflikten, das Spiel mit dem
Zuschauer lassen dieses Genre vergleichsweise offen gegenüber Konventionalisierung,
wofür letztlich auch die hier vorliegende Klassifizierung des Psychothrillers
spricht.
13.2. Inhalt und Dramaturgie
Der Prolog: Paulina und Gerardo Escobar sitzen im Konzert. Auf der Bühne spielt ein
Streichquartett den ersten Satz von Schuberts Der Tod und das Mädchen. Polanski überläßt den
Handlungsort der Phantasie des Zuschauers. Ein Insert lautet: Ein Land in Südamerika nach
dem Sturz der Diktatur. Während draußen ein Sturm tobt, bereitet Paulina in ihrem Haus am
Meer das Abendessen vor. In den Radionachrichten hört sie, daß ihr Mann Gerardo den Vorsitz
einer Kommission übernehmen soll, die Menschenrechtsverletzungen während der
Militärdiktatur untersucht. Ein Blitz schlägt in die Stromleitung, Paulina entzündet im
gesamten Haus Kerzen. Sie verbringt das Abendessen allein. Als sie anschließend auf die
Veranda tritt, sieht sie in der Ferne die Scheinwerfer eines sich nähernden fremden Autos.
Sofort löscht sie hektisch alle Kerzen und postiert sich mit einer Waffe hinter dem
Schlafzimmervorhang. Ihr Mann Gerardo steigt aus dem Wagen und gibt Entwarnung. Er hatte
eine Autopanne und wurde von einem Nachbarn nach Hause gebracht. Paulina und Gerardo
haben einen Streit über die anstehende Kommission. Es wird deutlich, daß Paulina als
ehemalige Widerstandskämpferin gegen die Diktatur ein überlebendes Opfer der militärischen
Folterungen ist. Sie wirft ihrem Mann vor, der Kommission zugestimmt zu haben, denn
diese wird sich lediglich mit den Todesfällen, jedoch nicht mit den Überlebenden
befassen. In der Nacht nähert sich abermals ein Auto. Es ist nochmals der Nachbar – Dr.
Roberto Miranda. Er bringt Gerardo den vergessenen Ersatzreifen. In der sicheren
Dunkelheit ihres Schlafzimmers belauscht Paulina das Gespräch der beiden Männer über
die Kommission. An der Stimme Mirandas glaubt sie, in dem Arzt jenen Peiniger
wiederzuerkennen, der sie während ihrer Inhaftierung im Jahre 1977 gefoltert und
vergewaltigt hat. Unbemerkt packt sie ihre Sachen und fährt mit Mirandas Wagen
davon.
Gerardo glaubt, sie habe ihn wegen ihres Streites verlassen und betrinkt sich zusammen mit
Miranda. Die beiden schließen Freundschaft. In Mirandas Wagen findet Paulina eine
Kassette – Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen. Sie stürzt das Auto die
Klippe hinunter. Unbemerkt kehrt sie zum Haus zurück und findet den Arzt schlafend
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